Stadt Willich Stefan Keim: Die Komik der Wirtschaftswunderjahre

Stadt Willich · Die Brille dunkel, die Haare schlicht nach hinten frisiert und um die Hüfte ein wenig füllig kam Stefan Keim auch äußerlich dem Komiker Heinz Erhardt recht nahe. Im Ratssaal von Schloss Neersen ließ der Kabarettist und Journalist den beliebtesten Komiker der 50er und 60er Jahre mit humoristischen Wortspielen, verdrehten Redewendungen und den typischen witzigen Gedichten auferstehen. Angekündigt war der Abend als Lesung, doch Keim schöpfte frei rezitierend und vorgeblich schüchtern bis spitzbübisch keck aus dem Vollen.

 Kabarettist Stefan Keim trat mit einem Heinz-Erhardt-Abend im ausverkauften Ratssaal im Rahmen der Schlossfestspiele Neersen auf.

Kabarettist Stefan Keim trat mit einem Heinz-Erhardt-Abend im ausverkauften Ratssaal im Rahmen der Schlossfestspiele Neersen auf.

Foto: ACHIM HÜSKES

Wie sein Idol der Wirtschaftswunderzeit, hatte er dabei das Publikum im ausverkauften Saal stets im Blick, um bei Bedarf spontan reagieren zu können. Das merkten denn besonders Besucher, die über ihre Antworten als Vielverheiratete und Vielgereiste ins Visier geraten waren und diese Rolle gutmütig lächelnd für den Abend behielten.

Die echten Erhardt-Fans waren offensichtlich gut vertreten. Denn fast wie im Chor raunten viele aus dem Publikum die Zeilen mit, als es hieß "Hinter eines Baumes Rinde wohnt die Made mit dem Kinde". Einem Dirigenten gleich gab Keim schließlich die Einsätze vor, um so die von ihm begonnenen Verse fehlerfrei vollenden zu lassen - bis hin zum traurig tragischen Ende der kleinen Made, wo es heißt. "Denn schon kam ein bunter Specht und verschlang die kleine fade Made ohne Gnade. Schade".

Auf vorgeblicher Suche nach einer Frau nahm der Kabarettist die Besucher mit auf eine parodistische Reise durch die Literatur. Dazu gehörte eine eigenwillige Fassung des "Erlkönig" vom Dichterfürsten Goethe, der mit Faust II die Grundidee zur Serie gelegt habe. Keim zeigte aber auch die eher unbekannte ernste Seite des Humoristen - so beim Gedicht "Flecke", das auf das Unrecht der Kriegsjahre anspielte. Wenn der Kabarettist die Brille abnahm, schien er aus seiner Rolle zu schlüpfen, um den Menschen hinter den Reimen und der speziellen Sprachakrobatik vorzustellen. So berichtete er, dass der 1909 in Riga geborene Humorist ursprünglich ein ernsthafter Musiker hatte werden wollen und für ein Studium am Leipziger Konservatorium eingeschrieben war. Doch der Großvater verbot diese Pläne, so dass aus Erhardt zunächst ein Musikhändler wurde. Am Arbeitsplatz aber stand ein Instrument, laut Erhardt das "Geflügel", auf dem er spielte und aus seinen Gedichten Chansons machte, bis die Leute anfingen, ihm zuzuhören.

(anw)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort