Kreis Viersen Immer mehr psychisch Kranke

Kreis Viersen · Die AOK stellte gestern in Kempen ihren Bericht über den Krankenstand im vergangenen Jahr vor. An der Spitze stehen nach wie vor Erkrankungen der Atemwege.

Der Krankenstand der AOK-Mitglieder im Kreis Viersen ist binnen Jahresfrist leicht gesunken. Das gaben gestern Regionaldirektor Heinz Frohn und Gregor Mertens vom Institut für Betriebliche Gesundheitsförderung, einer hundertprozentigen AOK-Tochter, bekannt.

Der Krankenstand, der nicht über sechs Wochen hinausgeht, lag im vergangenen Jahr bei 4,03 Prozent (2016: 4,07). Ähnlich ist die Entwicklung bei den Langzeitkranken: Die Quote sank von 1,97 auf 1,92 Prozent.

Die immer noch anhaltende Grippewelle ist nicht Bestandteil der Statistik, sie schlägt sich später in der des laufenden Jahres nieder. Wobei Mertens eine interessante Beobachtung gemacht hat: "In den letzten Jahren gab es immer in den ungeraden Jahren deutlich mehr Fälle. Insofern haben wir 2018 eine untypische Entwicklung."

Die Reihenfolge der häufigsten Diagnosen bei Krankschreibung ist eigentlich seit Jahren unverändert: Atemwegserkrankungen, Muskel/Skelett, Verdauung. Der Anteil der psychischen Erkrankungen liegt bei 12,2 Prozent. Während Husten und Co. oder Magen-Darm-Erkrankungen meist nach ein paar Krankheitstagen Geschichte sind, dauert die Therapie von Erkrankungen der Seele deutlich länger.

Am häufigsten sind depressive Episoden, es folgen Reaktionen auf schwere Belastung, Angststörungen und chronische Depressionen. Hinzu kommen somatoforme Störungen - von denen spricht man, wenn man einfach mal die Nerven blank liegen hat.

Zwei Drittel der Patienten mit psychischen Erkrankungen sind weiblich. Betroffen sind oft allein lebende Menschen, die im Alltag nur wenig Wertschätzung erleben. Weitere Ursache ist die Arbeitswelt, in der die Anforderungen immer größer werden, sich die Aufgaben immer mehr verdichten. In vielen Fällen sind die Betroffenen auch arbeitslos, fühlen sich von der Gesellschaft ausgeschlossen. Positiv ist sicherlich zu sehen, dass psychische Erkrankungen nicht mehr tabuisiert werden, sie sind hoffähiger als früher, man redet offen darüber.

Zu bedauern ist in den Augen der AOK, dass die Wartzeiten, bis es zu einer Therapie kommt, immer noch lang sind - zu lang. Werden Patienten nicht schnell von einem Facharzt behandelt, dauert die Therapie deutlich länger. Vielfach nehmen sie in der Zwischenzeit Tabletten, was unter Umständen sogar kontraproduktiv ist. Die durchschnittliche Ausfalldauer bei psychischen Erkrankungen liegt bei knapp 30 Tagen.

Aktuell schießen Beratungsfirmen in Sachen Gesundheit wie Pilze aus dem Boden, die Betrieben ihre Dienste anbieten. Das reicht für Gregor Mertens allerdings nicht aus: "Der Arbeitgeber muss auch anständige Arbeitsbedingungen sorgen." Gebot der Stunde sei es, dass die Betriebe in ihre Prozesse und Strukturen schauen, um zu versuchen, die Belastung der Beschäftigen zu vermindern.

"Soziale Beziehungen sind wichtig, das Betriebsklima muss stimmen." Liegt hier etwas im Argen, wächst die Unzufriedenheit. Es kann zu Resignation kommen, am Ende vielleicht sogar zu Burn-out. Das Bewusstsein in vielen Betrieben nehme zu, sagt Mertens, von heute auf morgen werde sich aber nicht viel ändern: "Es geht nur in kleinen Schritten voran." Aber viele Verantwortliche in den Unternehmen wissen inzwischen, dass sie zukünftig nur erfolgreich wirtschaften können, wenn sie motivierte, engagierte und gesunde Mitarbeiter haben.

Interessant ist der Blick auf die Branchen, aus der die Langzeiterkrankten kommen. An der Spitze liegen die Beschäftigten in Altenheimen und in der ambulanten Pflege. Es folgt die öffentliche Verwaltung, in der besonders oft Erzieherinnen oder Mitarbeiter des Bauhofs oder der Grünpflege betroffen sind.

(RP)
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