Stadt Willich Hinreißend komische Geschichten

Stadt Willich · Wladimir Kaminer, in Moskau geboren, lebt seit 1990 in Berlin. Sein Buch "Russendisko" hat eine Millionenauflage. Jetzt kommt er am Freitag nach Willich und liest in der Motte aus seinem neuesten Buch "Das Leben ist (k)eine Kunst".

Unbedingt hingehen. Auf diese knappe Formel könnte man die Ankündigung der Lesung von Wladimir Kaminer am Freitag in Schloss Neersen beschränken. Wenn Kaminer genau so liest wie er schreibt, dürfte es ein überaus vergnüglicher Abend werden. Die Lektüre seines neuen Buches "Das Leben ist (k)eine Kunst" mit "Geschichten von Künstlerpech und Lebenskünstlern", erschienen im Manhattan-Verlag München, ist auf jeden Fall vergnüglich.

Schon bei der "Russendisko" schwärmte die Süddeutsche Zeitung von der Leichtigkeit der Texte, die trotz der scheinbaren Mühelosigkeit "raffiniert konstruiert" seien. Man könnte das fast abschreiben, denn auch in seinem neuen Buch bleibt er diesem Prinzip kurzer Geschichten mit einer besonderen Pointe am Ende treu. Und dabei greift er ins pralle Künstlerleben, verrät Marotten und Ticks seiner zahlreichen Bekannten und Künstlerfreunde, meistens Russen, die den berühmten Landmann in Berlin besuchen und nächtelang am Küchentisch ihre Geschichten erzählen. Wobei man nicht alles eins zu eins glauben muss, da wird auch viel gesponnen, erfunden, verdichtet und vom Hörensagen umgeschrieben. Und natürlich wird die eigene Familie mit einbezogen. Wir erfahren, dass seine Frau Olga das Märchen "Aschenputtel" heute, anders als in ihrer Jugend, nicht mehr mag. Denn die realen romantischen Männer verschwinden immer um Mitternacht und kommen - mit dem Schuh einer fremden Frau im Mantel - morgens zurück.

Kopfkino vom Feinsten bietet die Geschichte "Zauberhaftes Russland". Kaminer erzählt, wie er den russischen Ball der Sächsischen IHK moderiert, wie Ballerinas und Donkosaken ein Fantasieland vertreten, das auf keiner Weltkarte zu finden ist. Oder wie Jürgen die Party von Madonna in seiner Kneipe Ostbär mit Original DDR-Tapete und sozialistischer Preistafel (Bier 1,30 Mark) verschläft. Und schon bei der Überschrift "50 Cent und die Toilettenfrau" schwant dem Leser der Eklat, auf den das Zusammentreffen eines amerikanischen Rappers und einer DDR-sozialisierten Clofrau unweigerlich hinausläuft. Kaminer beschreibt diese unheimlich skurrilen Erlebnisse - ob echt oder gut erfunden ist völlig wurscht, und muss eigentlich beim Schreiben Tränen gelacht haben. Auch beim einsamen Lesen in der heimischen Stube muss man ständig laut lachen oder innerlich grinsen - bei einer gut besuchten Lesung dürften die Pointen noch ansteckender sein.

Dabei ist Wladimir Kaminer kein Witzeerzähler, auch kein Kabarettist. Er ist ein wacher Beobachter mit einem Sinn für Ironie und schwarzen Humor. Gaddafi und Mireille Mathieu zusammen in Moskau - das geht auch gar nicht anders zu beschreiben. Aber Kaminer kann auch anders, etwa in "Die Opfer der Kunst". Er beginnt beim chinesischen Künstler Ai Weiwei. Er trinkt Tee mit ihm und überlegt, ob der Chinese ein chinesischer Don Quijote ist oder ein "in Amerika ausgebildeter Dissident", der mit seiner Aktionskunst das Land in Unruhe stürzen soll. Kaminer kennt die begründete Angst des Staatsapparates vor den Künstlern. Denn gute Kunst ist eine Kunst des Erinnerns. Und Kaminer kann auch Romantik: "Die Menschen sterben, ihre Häuser werden zu Staub, aus ihren Autos werden Löffel gemacht. Nur ihre Geschichten bleiben."

(RP)
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