Interview mit Heinz Michael Horst, dem Vorsitzenden der SPD-Fraktion In Tönisvorst Der soziale Frieden ist klar gefährdet

Tönisvorst · Beim Sommerinterview bringt der SPD-Fraktionsvorsitzende für Tönisvorst einen Doppelhaushalt 2016/17 ins Gespräch, außerdem einen Brandbrief der Stadt zu der Flüchtlingsfrage an die Abgeordneten in Düsseldorf und Berlin.

 Der SPD-Fraktionsvorsitzende Dr. Heinz Michael Horst in seinem heimischen Arbeitszimmer in St. Tönis. Der Vater zweier Kinder studierte Wirtschaftswissenschaften und ist im Geschäftsbereich Zoll des Bundesfinanzministeriums tätig.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Dr. Heinz Michael Horst in seinem heimischen Arbeitszimmer in St. Tönis. Der Vater zweier Kinder studierte Wirtschaftswissenschaften und ist im Geschäftsbereich Zoll des Bundesfinanzministeriums tätig.

Foto: W.K.

Seit der Kommunalwahl im Mai 2014 ist mehr als ein Jahr vergangen. Auch an Sie die Frage, sind Sie mit dem ersten Jahr im neuen Stadtrat zufrieden?

HORST Dazu gibt es keine einfache Antwort. Mit der Zusammenarbeit mit den anderen Fraktionen bin ich zufrieden, die funktioniert, auch wenn wir unsere Positionen deutlich herausgearbeitet haben. Nicht zufrieden bin ich mit den Haushaltsberatungen. Bei den Haushaltsreden im Rat hatten wir als einzige den Mut, eine seriöse Lösung zu finden, um das 5-Millionen-Loch zu stopfen. Wir haben vorgerechnet, dass man dazu ehrlicherweise die Grund- und Gewerbesteuer anheben müsse. Die anderen haben uns im Regen stehen lassen. Wer beispielsweise die Sportler mit einem Hallennutzungsentgelt weiter belasten will, gefährdet in Tönisvorst den sozialen Frieden. Wir sind froh, dass wir als SPD das Entgelt bisher verhindern konnten. Seit 2013 haben die Befürworter es nicht geschafft, es in der Form umzusetzen.

Durch die Unterbringung von Flüchtlingen in Turnhallen ist das Thema vielleicht ganz vom Tisch. Dafür drängt die Frage, wie die vielen Flüchtlinge vor Ort unterzubringen sind.

Horst Im alten Stadtrat haben Horst von Brechan als CDU-Fraktionsvorsitzender und ich beim Thema Krankenhaus abgesprochen, vertraulich im Hintergrund zusammen zu arbeiten, ohne die Probleme in öffentlicher Diskussion zerreden zu lassen. Das hat gut funktioniert und zu einem guten Ergebnis geführt. Mit dem neuen CDU-Fraktionsvorsitzenden Helmut Drüggen haben wir diese Vereinbarung bei den Themen Flüchtlinge und Unterbringung der Schulen fortgeführt. Die Themen sind sehr sensibel. Beim Thema Flüchtlingsunterkunft im Daihatsu-Verwaltungsgebäude haben wir hart gearbeitet, um zusammen mit der Verwaltung eine Lösung in der Not zu finden. Dass die UWT dann im Rat als einzige Fraktion dagegen stimmte, hat uns sehr irritiert.

Vor Ort engagieren sich viele Ehrenamtliche für die Flüchtlinge. Ist das nicht ein positives Signal?

Horst Auf jeden Fall. Ich finde gut, dass sich so viele Leute dafür engagieren. Aber sie können und sollen auch nicht ein hauptamtliches Engagement ersetzen. Wir haben bei unserer Zustimmung zur Unterbringung der Flüchtlinge, die in der Daihatsu-Immobilie untergebracht werden sollen, sehr deutlich ein klares Betreuungskonzept eingefordert. Wir gehen davon aus, dass die Verwaltung das auch kurzfristig liefern wird.

Hat sich die Situation des Haushaltes durch die Flüchtlingsfrage nicht weiter verschärft?

HORST Natürlich. Die Integration der vielen Flüchtlinge wird mittelfristig viele Mittel im Haushalt binden. Ich habe dem Bürgermeister vorgeschlagen, gemeinsam mit ihm und den Tönisvorster Fraktionsvorsitzenden der Ratsparteien, die in Land und Bund Regierungsverantwortung haben, aus Sicht der Kommunen einen Brandbrief an alle Abgeordneten nach Düsseldorf und Berlin schreiben. Die Defizite der Bundes- und Landespolitik in der Flüchtlingsfrage stellen für mich eine klare Gefährdung des sozialen Friedens dar. Hier wird eine Bundesaufgabe zulasten der Kommunen erledigt. Seit Jahren drücken sich die Regierungen um eine klare Antwort. Ganz besonders drängt eine praktikable Lösung der Frage der Krankheitskosten, hier muss es einen solidarischen Ansatz geben, diese gleichmäßig zu verteilen, also zum Beispiel über die Krankenkassen; es kann nicht sein, dass die eine Stadt in Einzelfällen fünf- und sechsstellige Krankheitskosten stemmen muss, die andere davon nicht betroffen wird. Hier wäre eine Art Versicherungsbeitrag für die Flüchtlinge ein erster guter Ansatz.

Der Haushalt 2015 ist noch nicht durch den Kreis genehmigt.

HORST Ja, das ist sehr ärgerlich, aber den Kreis trifft keine Schuld. Dadurch sind viele Projekte liegengeblieben. Uns treibt das Thema Energieeinsparung um. Die Umrüstung auf LED in den Räumen des Schulzentrums sehe ich jetzt als gefährdet an. Was in diesem Jahr aufgeschoben werden musste, wird 2016 als Berg zu den normalen Aufgaben hinzukommen. Aber zu welchen Kosten? Da werden wir kritische Fragen an die Leitung des Rechnungsprüfungsamts stellen, wie es zu dieser prekären Situation kommen konnte. Das Amt arbeitet zwar weisungsungebunden, steht aber auch in der Verantwortung für die Stadt. Beim Thema Personal habe ich mich über das Signal von Helmut Drüggen (CDU) gefreut, den Stellenplan der Verwaltung offen zu diskutieren. Wenn der Planungsbereich in Arbeit erstickt, muss man über eine Neueinstellung reden. Nur so schaffen wir es, innerstädtische Grundstücke zu erschließen und wirksam für den Haushalt zu verkaufen.

Das klingt aber nach Mehrausgaben im städtischen Haushalt und nicht nach Sparen?

Horst Die Aufgabe, Einnahmen und Ausgaben in Einklang zu bringen, sollte fraktionsübergreifend eine gemeinsame Anstrengung sein. In unserer Fraktion werden wir jetzt die Idee eines Doppelhaushaltes 2016/17 diskutieren, wie es der Kreis Viersen praktiziert. Das verschafft der Verwaltung einen größeren zeitlichen Handlungsspielraum. Davon versprechen wir uns große Vorteile. Ein solch fataler Stillstand wie jetzt seit Monaten darf nicht noch mal passieren.

Nicht zufrieden dürften Sie bei der Verwaltung auch beim Thema Einzelhandelskonzept sein?

Horst Da irren Sie nicht. Wir haben uns sehr über die Verwaltung geärgert. Über die Gutachten hinaus wollten wir mehr über die Meinung der Bürger erfahren, ob Ihnen der Rewe-Markt im Zentrum reicht oder ob sie einen Edeka-Markt zusätzlich am Maysweg begrüßen. Die Bürgerbefragung ist im Ausschuss einstimmig beschlossen worden, von der Verwaltung allerdings nicht umgesetzt worden. Eine Frage-Aktion über die Homepage der Stadt war so versteckt und umständlich, dass kaum Meinungen so zustande kamen. Die SPD-Fraktion findet, dass es nicht reicht, ein Gutachten im Wesentlichen auf Befragungen und Interpretationen von betroffenen Einzelhändlern aufzubauen. Wir sind sehr skeptisch, weil es auffällt, wie wenig Interesse an der Meinung der Bürger in dieser Frage gezeigt wird. Nicht zufrieden sind wir auch mit der Entwicklung und Vermarktung der Gewerbegebiete. Da wurde mehr versprochen als bisher geschehen ist, die Verwaltung ist vor einiger Zeit als Tiger abgesprungen und bisher als Bettvorleger gelandet. So richtig Bewegung ist nicht hineingekommen, nach vollmundigen Ankündigungen vor der Wahl bleibt festzustellen: bisher fast völliger Stillstand beim ehemaligen Kress-Gelände, ebenso beim ehemaligen Cray Valley-Gelände. Auch wenn hoffentlich bald etwas geschieht: erfolgreiche Wirtschaftsförderung sieht anders aus und nette Frühstücke als Bestandspflege sind auch nichts Neues, sondern ein alter Hut.

Was steht für Sie außer Haushalt und Flüchtlinge im nächsten halben Jahr auf der Agenda?

Horst Wir werden weiter Ideen zu alternative Energien einbringen. Für unseren Vorschlag, ein Photovoltaik-Projekt mit einer Bürgergesellschaft zu realisieren, fanden wir damals keine Mehrheit - obwohl das Beispiel Willich zeigte, wie man so etwas erfolgreich umsetzt. Von der Ablehnung damals wollen die anderen Fraktionen heute nichts mehr wissen. Jetzt starten wir eine neue Initiative mit Windkraft. Auch das Neubaugebiet Vorst-Nord werden wir mit wachem Auge begleiten. Wir hoffen sehr, dass es bald zur Bebauung dort kommt. Denn die Entwicklung der Bevölkerungszahlen in Vorst gefährdet mittelfristig den Bestand von Kitas und Schulen. Der Zuzug durch Vorst-Nord würde die Situation stabilisieren.

(RP)
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