Bundestagswahl Die Direktkandidaten Der AfD'ler, der mal ein Genosse war

Willich · Kommt die Partei bei der Bundestagswahl über die Fünf-Prozent-Hürde, ist Kay Gottschalk (47) Abgeordneter. Wie tickt der Wahl-Nettetaler?

 Er war SPD-Mitglied, wählte CDU und FDP. Jetzt tritt Kay Gottschalk für die AfD an.

Er war SPD-Mitglied, wählte CDU und FDP. Jetzt tritt Kay Gottschalk für die AfD an.

Foto: Jörg Knappe

Nettetal/Viersen Braune Budapester, klein kariertes Ralph-Lauren-Hemd, keine Krawatte. Brille, der Scheitel sauber gezogen, am linken Handgelenk eine Apple-Watch. Kay Gottschalk, Jahrgang 1969, gelernter Banker, studierter Jurist und BWLer, tritt als Direktkandidat im Kreis Viersen für die Partei an, die sich "Alternative für Deutschland" nennt. Dass er die Mehrheit der Erststimmen erhalten wird, ist ziemlich unwahrscheinlich. Dass er trotzdem Mitglied des Deutschen Bundestages wird, ist allerdings sehr wahrscheinlich: Der Wahl-Nettetaler steht auf Platz vier der NRW-Landesliste. Kommt die AfD bei der Bundestagswahl am 24. September auf mehr als fünf Prozent, wird Gottschalk Abgeordneter. Wer ist dieser Mann, der wie aus heiterem Himmel aus Hamburg kam, bei einer großen Versicherung im Management arbeitete und sich zum 1. Juni von der Arbeit freistellen ließ, um sich dem Wahlkampf für die AfD im Kreis Viersen widmen zu können?

Gottschalk ist: ein ehemaliges Mitglied der SPD. "Am Tag des Misstrauensvotums gegen Helmut Schmidt bin ich 1983 in die Partei eingetreten. Schon meine Großeltern waren Sozialdemokraten." Sein Vater arbeitete bei der Lufthansa. Gottschalk ist: ein ehemaliger CDU-Wähler. "Als die SPD 1994 mit der Troika angetreten ist, habe ich für die Christdemokraten gestimmt." Gottschalk ist: ein ehemaliger SPD-Wähler. 1998 gab er Gerhard Schröder seine Stimme. Gottschalk ist: ein ehemaliger FDP-Wähler. "Als die Liberalen 2005 mehr Netto vom Brutto versprachen, haben die meine Stimme bekommen."

Und als Bernd Lucke 2013 die eurokritische AfD gründete, wurde auch Gottschalk Parteimitglied. Anders als Lucke, der die Partei vor gut zwei Jahren nach einer Abstimmungsniederlage gegen Frauke Petry um den Parteivorsitz verließ, weil er deren islam- und ausländerfeindlichen Kurs nicht teile, blieb Gottschalk dabei. Er gilt als Vertrauter von Petrys Ehemann, dem NRW-Vorsitzenden Marcus Pretzell. Der bat Gottschalk um die Kandidatur für den Spitzenplatz auf der NRW-Liste - weil Pretzell damit einen Sieg des Rechtsauslegers Martin Renner als Spitzenkandidat verhindern wollte. Gottschalk präsentierte sich auf dem Parteitag in Essen als moderater Versöhner - und unterlag Renner in der Stichwahl knapp mit 167 zu 179 Stimmen. Dass der 47-Jährige überhaupt die Kandidatur zusagte, ohne seine Hamburger Parteispitze zu informieren, sorgte im Norden für böses Blut.

In Hamburg führte Gottschalk bis Juni die AfD-Fraktion in der Bezirksversammlung Mitte. "Nahezu ein Totalausfall", schimpfte der AfD-Hamburg-Mitte-Chef Detlev Ehlebrecht in einer Warn-Mail an seine "lieben Parteifreunde" in NRW. Und in der Tat: Laut Sitzungsprotokollen war Gottschalk beispielsweise beim City-Ausschuss gerade ein einziges Mal anwesend. Was ist da schief gelaufen? "Wir sind eine junge Partei. Als wir 2014 antraten, hatten wir neun Leute aufgestellt", sagt Gottschalk. Andere Parteien hätten für die Besetzung von Ausschüssen auf sachkundige Bürger zurückgreifen können, das Personal habe die AfD gar nicht gehabt. Und nach dem Lucke-Weggang habe es bei seiner Fraktion einen Aderlass gegeben. "Und was macht man als guter Fraktionsvorsitzender: Ich besetze den Ausschuss zunächst mal selbst und hoffe, dass wir jemanden finden." Er sei in Hamburg nun mal Freizeitpolitiker gewesen. "Wenn mein Arbeitgeber ein Jour fixe in Köln um 10 Uhr morgens ansetzt und der Rückflug erst nach Beginn der Ausschuss-Sitzung losgeht, dann ist das nicht zu schaffen." Auch habe er sich bei 150 Parteitagen engagiert. "Du hast die Zeit nur einmal. Ich freue mich, dass ich jetzt mal Politik in Vollzeit machen kann." Schon in seiner Abi-Zeitung habe gestanden: "Du musst Politiker werden."

Offen räumt Gottschalk ein, dass er noch nicht alle Kommunen seines Wahlkreises besucht hat - "da bin ich noch nicht bei 100 Prozent, muss mich noch einarbeiten - aber ich komme schon ohne Navi überall an." Trotzdem weiß er, was er im Bundestag für den Kreis Viersen erreichen will: Infrastruktur! Den Ausbau der Autobahnen. Die Verlagerung des Transit-Güterverkehrs komplett auf die Schiene - auch wenn dafür Menschen umgesiedelt werden müssten. "Das hat man in Hamburg bei der Hafenerweiterung auch gemacht."

Wie steht Gottschalk zu umstrittenen Thesen seiner Partei - zum Beispiel, dass der Klimawandel nicht menschengemacht sei? "Ich glaube, dass die Menschen den natürlichen Klimawandel verstärken. Die Gesellschaft in Deutschland ist aber ökoextremistisch." Dass die AfD schon Zwölfjährige in Haft stecken will? "Warum nicht!", gibt der Jurist zurück.

Dem Kreis Viersen sei er schon länger verbunden. "Mein bester Freund und dessen Frau wohnen in Nettetal. Ich hatte immer schon vor, später mal hier hin zu ziehen." Beim Dülkener Karnevalszug war er dabei, seit Februar hat er einen Zweitwohnsitz in Nettetal, morgen ist Übergabe seines Hauses in Breyell. "Das hat im Keller auch Platz für meine Modelleisenbahn-Anlage." Märklin, Epoche III - die Zeit von 1949 bis 1970.

(mrö)
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