Holger Friedrich Zu viel Regen für Hinterlandgräben

Wesel · Im Juni hat Starkregen in Haffen und Mehr zu Überschwemmungen geführt. Wasser wurde in Kiesseen abgeleitet, was auf Kritik stieß. Dazu äußert sich Deichverbandgeschäftsführer Holger Friedrich.

Holger Friedrich: Zu viel Regen für Hinterlandgräben
Foto: Michael Scholten

Innerhalb von drei Wochen ist es jetzt zu sehr starken regionalen Niederschläge im Deichverbandsgebiet gekommen. Hat es so etwas schon einmal gegeben?

Friedrich Jahrhundert-Niederschläge oder Jahrhundert-Hochwasser sind Naturereignisse und leider nicht vorhersehbar. Sicherlich wird es auch diese Niederschläge in der Vergangenheit schon gegeben haben. Im Archiv findet man aber mehr Hinweise auf seltene Hochwasserereignisse als auf solche Niederschlagsereignisse. Diese Regenmengen sprengen in der Regel die von Menschenhand vorbereiteten Gegenmaßnahmen. Beim Hochwasserschutz bereiten wir uns auf ein 500-jähriges Ereignis vor. Aber unser Grabensystem im Hinterland ist für solche Jahrhundert-Niederschläge bei weitem nicht ausgelegt.

Eden kritisiert die Kiesabgrabungen am Niederrhein. Jetzt ist auch der Deichverband ins Fadenkreuz gerückt. Hat der Deichverband was falsch gemacht, indem er Wasser in den Auskiesungsseen geleitet hat?

Friedrich Ich denke nicht. Durch das frühzeitige Ableiten von Wasser aus der Haffen'schen Landwehr in die Kiesseen wurde sehr früh positiv auf die Vorflut des Hinterlandes reagiert. So konnten die Wasserstände in der Haffen'schen Landwehr niedrig gehalten werden und das Hinterland hatte stetigen Abfluss.

Kritiker monieren aber auch, dass die Auskiesungen ein lange Zeit bestehendes Entwässerungssystem zumindest geschwächt haben.

Friedrich Das sehe ich nicht so. Und bei den Regenmengen, über die wir reden, wäre auch das Grabensystem, wie es vor den Auskiesungen bestand, überfordert gewesen.

Und was ist dran am Vorwurf, der Deichverband habe nicht gepumpt und somit den Grundwasserspiegel nicht gesenkt?

Friedrich Dem muss ich mit Nachdruck widersprechen. Einmal wurde seit Anfang Juni erstmalig das neue Schöpfwerk Lohrwardt (Bislicher Ley) in Betrieb genommen und dadurch konnte das Wasser aus dem Einzugsgebiet der Bislicher Ley in den Rhein gepumpt werden und sorgte so für Entlastung. Zum anderen wurde durch die Einleitung in die Baggerlöcher der technisch erforderliche Wasserstand von 14,90 mNN erst gar nicht erreicht. Die Pumpen hätten statt Wasser nur Luft gepumpt. Die Firma Elektro Blecking stand mit einem leistungsfähigen Stromerzeuger auf Abruf und innerhalb von drei Stunden hätte der Deichverband das Schöpfwerk in Betrieb nehmen können. Alle vorbereitenden Arbeiten wie Wartung und Entschlammung waren für diesen Fall durchgeführt.

Und das Grundwasser?

Friedrich Hier macht zurzeit technischer Unsinn die Runde und verfestigt sich in den Köpfen. Mit einem Schöpfwerk kann man keinen Grundwasserspiegel absenken. Das Schöpfwerk hat eine maximale Pumpleistung von 2,8 m³/Sekunde. Zum Vergleich: Der Grundwasserkörper misst mehrere Millionen Kubikmeter. Das betroffene Gebiet ist Teil des hochwasserfrei eingedeichten Polders in der niederrheinischen Tiefebene. Die hiesigen Schöpfwerke sind im Zusammenspiel mit den Deichen zu sehen. In Zeiten gestörter Vorflut bei Rheinhochwasser wird das Hinterland durch die Gräben zum Schöpfwerk hin von Wasser (Oberflächenwasser) befreit. Beim Hochwasser 1926 gab es keine Schöpfwerke und es war fast 50 Prozent des Verbandsgebietes mit Wasser bespannt, obwohl es keinen Deichbruch gab.

Wie kommt es denn zu den vielen Meldungen, dass die Leute Wasser im Keller haben?

Friedrich Hier muss man sich die Wasserstände des Rheins anschauen, und zwar seit Anfang 2016. Der Rhein führt enorm viel Wasser und zur Jahresmitte, wenn der Trend eindeutig zum Niedrigwasser geht, legte der Rhein in seinen Wasserständen noch mal mächtig zu. Zusätzlich fiel so viel Regen, dass die letzten Niederschläge im wahrsten Sinne des Wortes das Fass zum Überlaufen brachten. Der Grundwasserstand ist extrem hoch. Wer heute keinen wasserdichten Keller gebaut hat und niedrig liegt, hat Probleme mit dem Grundwasser.

Wann entspannt sich die Lage?

friedrich Die Wasserstände des Rheins sinken derzeit stetig. Mittlerweile haben wir überall wieder freie Vorflut und die Schöpfwerke sind außer Betrieb genommen. Der Grundwasserkörper reagiert leider viel träger. Dies tut er bei auflaufender Welle genauso wie bei ablaufender Welle. Die Gräben werden - wie jedes Jahr - seit dem 15. Juni unterhalten. Vorher ist das aufgrund gesetzlicher Vorgaben nicht erlaubt. Die Vorflut funktioniert in weiten Teilen. Natürlich konnte auch der Deichverband nicht in vernässte Flächen fahren und wird dieses, sobald die Gräben erreichbar und die Flächen befahrbar sind, erledigen.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE RP-REDAKTEUR MARKUS BALSER.

(RP)
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