Wesel Wesel setzt zur Pogromnacht wieder Zeichen zur Mahnung

Wesel · Zum Gedenken des Beginns der Judenverfolgung kommt erneut Ehrenbürger Ernest Kolman aus London ins Bühnenhaus. Dort trägt Schauspielerin Anja Bilabel Texte von Dichterinnen vor.

 Anja Bilabel liest unter dem Titel "Geschichte eines ungestümen Herzens".

Anja Bilabel liest unter dem Titel "Geschichte eines ungestümen Herzens".

Foto: Heike Steinweg

Es gibt Daten, die unmittelbar zu Beklemmungen führen. Fürs Weseler Gedächtnis sind dies zum Beispiel drei Februartage des Jahres 1945, in denen die Stadt durch Bombenangriffe der Alliierten pulverisiert wurde. Und dann ist da noch jenes Ereignis, das als Pogromnacht vom 9. November 1938 in die Geschichte einging und den Auftakt der Abscheulichkeiten gegen die Juden bildete. Auch in Wesel brannte die Synagoge, wurden Geschäfte geplündert, Wohnungen und das jüdische Gemeindehaus verwüstet. Fünf Jahre später gab es die jüdische Gemeinde nicht mehr.

Heute, 79 Jahre später, ist Ernest Kolman der letzte Übelebende der Weseler Juden. Und wieder einmal lässt er es sich nicht nehmen, zum Gedenken der Pogromnacht aus London zu kommen. Der 91-jährige Weseler Ehrenbürger betrachtet es als seine Pflicht, an die Geschehen zu erinnern und die Mahnung wachzuhalten. Gleiches ist der Anspruch des Jüdisch-christlichen Freundeskreises um Wolfgang Jung und Paul Borgardts, die gestern mit Rainer Benien und Bärbel Reining-Bender als Vertretern der Stadt das gemeinsame Programm vorstellten.

Begangen wird das Gedenken am Donnerstag, 9. November. Es beginnt um 19 Uhr im Bühnenhaus und steht unter dem Titel "Geschichte eines ungestümen Herzens". Im Mittelpunkt stehen deutschsprachige Autorinnen aus jener dunklen Zeit unter dem Regime der Nationalsozialisten. Unter anderem werden Texte von Rose Ausländer, Mascha Kaléko und Gertrud Kolmar vorgetragen. Nicht nur todtraurige, wie Jung gestern sagte. Aber eben gehaltvolle Passagen, die ein Bild der Lebensumstände widergeben. Lesen beziehungsweise teils in freier Rede vortragen wird die Münsteraner Schauspielerin Anja Bilabel, die von Flötistin Hanne Feldhaus begleitet wird. Im Anschluss findet der traditionelle Lichtergang zum jüdischen Mahnmal am Willibordi-Dom statt.

Für Engagierte wie Wolfgang Jung steht die Wichtigkeit des Pogrom-Gedenkens in Wesel außer Frage. Es steht auf einer Ebene mit dem 27. Januar zur Erinnerung an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, dem Sinnbild des millionenfachen Mordes schlechthin. Gerade und vielleicht auch weil Zeitzeugen wie Kolman naturgemäß immer weniger und bald nicht mehr da sein werden. Jüngere Generationen müssen die Mahnung weitertragen. Schüler des Konrad-Duden-Gymnasiums haben für 2018 die Aufgabe übernommen, das Auschwitz-Gedenken zu gestalten.

"Neonazismus hat Lautsprecher, die gehört werden", sagte Jung und machte auf aktuelle Tendenzen aufmerksam, eine Verrohung in Handlungen und in der Sprache. Im Vergleich zu anderen Städten, so Borgardts, sei es gut, wie in Wesel das Gedenken begangen werde. Nicht klein oder pflichtgemäß, sondern angemessen und würdig. Dass Wesel dies wichtig sei, habe seine Gründe. Einer davon, so Borgardts weiter, sei das Wirken des Jüdisch-christlichen Freundeskreises, der Kontakte aufgebaut und gepflegt habe. Jung über Kolman: "Jeder Besuch von ihm ist wertvoll. Wir wissen nicht, wie lange er das noch machen kann."

(fws)
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