Hamminkeln Warum die Kirchen zunehmend an Bedeutung verlieren

Hamminkeln · In der Akademie Klausenhof hielt Prof. Dr. Thomas Großbölting, Kirchenhistoriker an der Universität Münster, einen interessanten Vortrag mit dem Titel "Der verlorene Himmel".

 Vor rund 150 Zuhörern hielt Prof. Dr. Thomas Großbölting im Klausenhof jetzt einen Vortrag.

Vor rund 150 Zuhörern hielt Prof. Dr. Thomas Großbölting im Klausenhof jetzt einen Vortrag.

Foto: WWU / Benedikt Weischer

Prof. Dr. Thomas Großbölting machte in der Reihe "SonntagMorgen im Klausenhof" die Brisanz seines Themas gleich zu Beginn mit einer Grafik deutlich: Ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland gehört heute keiner christlichen Kirche mehr an, in den 50er Jahren waren noch fast alle entweder katholisch oder evangelisch. "Während auf anderen Kontinenten der Welt der Trend zu einer größeren Bedeutung der Religion geht, haben wir in Deutschland eine gegenläufige Entwicklung", sagte der in Dingden aufgewachsene Historiker von der Universität Münster.

Als Indikator für die Bindung an die Kirchen zog er die Ein- und Austrittszahlen heran. Anhand derer lasse sich ablesen, dass äußere Rahmenbedingungen, wie die Steuergesetzgebung oder die politischen Verhältnisse, eine große Rolle bei den Mitgliederzahlen spielen. 1933 etwa gab es eine große Eintrittswelle bei der evangelischen Kirche, als mit der Machtergreifung eine NS-nahe "Glaubensbewegung Deutsche Christen" propagiert wurde. Allerdings kehrten bald viele wieder beiden Kirchen aus Angst vor Repressalien den Rücken zu.

Eine besondere Stellung nehmen die Nachkriegszeit und die 50er Jahre ein. Offenbar galten die Kirchen als feste und glaubwürdige Instanz, der man sich nach den schrecklichen Erfahrungen in der Diktatur und im Krieg zuwenden konnte, die Halt und Hoffnung gaben. In der Adenauer-Zeit wurden viele noch heute gültigen Verbindungen von Staat und Kirche geschaffen. Dazu zählte der Wissenschaftler die große Rolle der Kirchen in den Wohlfahrtsverbänden, in Rundfunkräten und in der Bildung auf. Besonders die Regelungen zum Einzug der Kirchensteuer hatten maßgeblichen Einfluss auf die Arbeit der Kirchen.

In der DDR konnte sich die dort hauptsächlich verbreitete evangelische Kirche in einem geschützten Raum behaupten, den ihr die Staatsführung zubilligte. In der Auseinandersetzung um die "Jugendweihe" ab 1953 zeigte sich aber, dass der Versuch der Kirche, diese sozialistische Form der Konfirmation zu verbieten, auch von den Gläubigen selbst nicht angenommen wurde. Ab 1971 existierte eine "Kirche im Sozialismus", die gut organisiert war, einige Freiheiten hatte und so als wichtiger Motor für die Revolution 1989 diente.

Die Hoffnung, dass die Kirche gestärkt aus der Wende hervorging, zerschlug sich nicht nur - es setzte sogar eine gegenteilige Entwicklung ein: Die Menschen traten scharenweise aus der Kirche aus. Der Grund war ganz profan: "Viele wollten einfach die Kirchensteuer sparen".

Aktuell zeigt sich eine stärkere Zunahme anderer Religionsgemeinschaften, besonders der Moslems - obwohl sie nur einen minimalen Anteil haben. Jetzt werde immer deutlicher, dass sich in Deutschland auch andere Religionen etablieren und so das System der Dominanz der christlichen Kirchen in Frage stellen. "Wir sind wenig darauf vorbereitet, dass es religiöse Pluralität gibt", sagt Großbölting.

Und die Zukunft? Dazu wollte sich der Historiker nicht festlegen. Der zunehmende Verlust einer Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche sei ein Trend, der aufgrund des hohen Ausgangsniveaus in der Nachkriegszeit auch nicht verwunderlich sei. Die mit rund 150 Zuhörer voll besetzte Cafeteria des Klausenhofs zeigt aber, dass das Interesse an dem Thema weiterhin groß ist.

(RP)
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