Interview mit Michael Wefelnberg "Von der Sucht kommen viele nie los"

Wesel · Der Hünxer Mediziner Dr. Michael Wefelnberg betreibt seit rund einem Jahr eine Methadon-Ausgabe-Praxis in Wesels Bahnhofsnähe. Dort betreut er Heroinabhängige, die ihren Drogenkonsum in den Griff bekommen möchten.

 Dr. Michael Wefelnberg führt die elektronische Methadon-Ausgabe vor. Das Gerät dosiert jedes Präparat genau und protokolliert die Vergabe. Derzeit werden in seiner Zweitpraxis am Bahnhof 55 Patienten damit versorgt.

Dr. Michael Wefelnberg führt die elektronische Methadon-Ausgabe vor. Das Gerät dosiert jedes Präparat genau und protokolliert die Vergabe. Derzeit werden in seiner Zweitpraxis am Bahnhof 55 Patienten damit versorgt.

Foto: Martin Büttner

Im Februar 2014 öffnete Dr. Michael Wefelnberg zum ersten Mal die Türen seiner Methoden-Ausgabe-Praxis im kleinsten der drei Bahnhofshochhäuser. Nachdem der Mediziner bereits seit 2010 in den Räumen des Evangelischen Krankenhauses mit Suchtpatienten gearbeitet hatte, musste er durch den Abriss des alten Nebengebäudes einen neuen Platz für sein Methadon-Programm finden. Nun, nach mehr als einem Jahr, verzeichnet er erste Therapieerfolge - aber auch Rückschläge.

Herr Wefelnberg, seit etwa 14 Monaten betreuen Sie Heroinabhängige in der Methadon-Ausgabe-Praxis? Sind Sie mit dem Standort zufrieden?

Michael Wefelnberg Auf jeden Fall. Die Patienten und ich haben dort einen ruhigen Ort, um ungestört zu arbeiten. Diese Rückzugsmöglichkeit ist sehr wichtig.

Sie haben bereits seit vielen Jahren Erfahrung mit Drogensüchtigen. Haben viele Weseler ein Drogenproblem?

Wefelnberg Das Problem ist durchaus sichtbar. Aber da liegt die Stadt ziemlich genau im Schnitt mit anderen Städten dieser Größenordnung. Aktuell habe ich 55 heroinsüchtige Patienten.

Der Weg zur Realisierung der neuen Einrichtung war ja durchaus mit Schwierigkeiten verbunden. Was war das Problem?

Wefelnberg Natürlich habe ich auf der Suche nach Räumen auch mit der Stadt, dem Kreis und vielen sozialen Einrichtungen gesprochen. Aber da kam nicht allzu viel zurück.

Das heißt im Detail?

Wefelnberg Es gab keine handfeste Unterstützung. Klar habe ich ein paar gute Telefonate geführt, konkrete Angebote folgten darauf jedoch nicht. Deshalb habe ich die Sache selbst in die Hand genommen und die Einrichtung privat gegründet.

Reden wir über die Methadon-Therapie. Wie kann ein Heroinabhängiger überhaupt in Ihr Programm aufgenommen werden?

Wefelnberg Ohne einen offiziellen Schein der Drogenberatungsstelle und eine gültige Krankenversicherung läuft da zunächst mal gar nichts. Zudem wird der Patient genau untersucht. Blutabnahme, EKG, sowie Alkohol- und Drogen-Screenings - all das ist unverzichtbar. Man muss den Patienten kennen.

Und wie geht es dann weiter?

Wefelnberg Dann kommen die Patienten ins Bahnhofshochhaus, entweder täglich oder im Wochen-Rhythmus. Wenn eine entsprechende Vertrauensbasis vorhanden ist, können sie das Methadon-Präparat auch zu Hause einnehmen.

Wie läuft die Behandlung vor Ort genau ab?

Wefelnberg Die Praxis ist rein funktionell für die Methadon-Vergabe aufgebaut. Es gibt ein Wartezimmer, Toiletten für die Urinproben und einen Automaten, der die flüssigen Präparate genau dosiert und die Einnahme elektronisch dokumentiert.

Werden Ihre Patienten auch während der Behandlung auf Drogenkonsum untersucht?

Wefelnberg Natürlich. Der Alkoholtest erfolgt täglich, die Drogen-Screenings unregelmäßig. Wenn ein Patient etwa auf Alkohol positiv getestet wird, muss er wieder gehen.

Wie wirkt das Methadon eigentlich im Körper des Süchtigen?

Wefelnberg Diese Ersatzdroge spricht im Körper dieselben Rezeptoren an wie die Droge Heroin. Die Sucht wird befriedigt. Der Patient hat keine Entzugserscheinungen mehr.

Aber sagt nicht schon das Wort "Ersatzdroge", dass man nur die eine Droge durch eine andere ersetzt?

Wefelnberg Ja, es ist ein Medikament, das genauso abhängig macht wie Heroin. Aber: Es ist so präzise dosiert, dass der Patient nicht berauscht ist. Wenn sich die Süchtigen das Heroin in die Gefäße spritzen, zerstören sie ihren eigenen Körper unermesslich. Durch das Methadon ist der Drogenkonsum zumindest kontrollierter. Denn von der Sucht selbst kommen viele niemals los.

Aber warum dann die Methadon-Therapie? Ist das Ziel nicht die Abstinenz?

Wefelnberg Nein, das erste und wichtigste Ziel ist das Überleben des Patienten. Drogen zerstören den Körper unglaublich schnell. Das muss erstmal gestoppt werden, ehe man über weitere Etappenziele nachdenken kann.

Was sind die nächsten Etappen?

Wefelnberg Kein Beikonsum, also Methadon plus weitere Drogen. Wenn das der Fall ist, wird der Patient zur Not in die Entgiftungsklinik geschickt. Weitere Ziele sind ein normales Leben und vielleicht sogar beruflicher Erfolg. Solche positiven Fälle hatte ich schon.

Gibt es auch Rückschläge?

Wefelnberg Leider ja, seit Anfang des Jahres habe ich drei Patienten verloren, die an den Folgeerkrankungen des Drogenkonsums und des damit verbundenen ungesunden Lebenswandels gestorben sind. Durch die Abhängigkeit rutschen viele enorm ab.

Sie sagten, dass die Sucht viele niemals loslässt. Drogenfrei geht also gar nicht mehr?

Wefelnberg Doch in wenigen Fällen hat es bislang tatsächlich funktioniert. Zehn meiner Patienten haben den Absprung geschafft. Aber neben einer guten Therapie zählt da vor allem eines: der unbedingte Wille.

MARCEL ROMAHN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(mro)
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