Wesel Unterwegs auf dem Camino

Wesel · Wer Etappen des Jakobsweges erwandert, erlebt besondere Geschichten. RP-Mitarbeiterin Monika Hartjes schildert ihre Erfahrungen.

 Der Weinbrunnen am Kloster Irache. Hier darf sich jeder Pilger bedienen. Aus einem Hahn fließt Wasser, aus dem anderen Rotwein.

Der Weinbrunnen am Kloster Irache. Hier darf sich jeder Pilger bedienen. Aus einem Hahn fließt Wasser, aus dem anderen Rotwein.

Foto: Hartjes

Bereits vor sechs Jahren bin ich ein Stück des Jakobswegs gegangen, damals gemeinsam mit meinem Sohn. Das war so beeindruckend, dass ich das auf jeden Fall wiederholen wollte. Immer kam etwas dazwischen, aber als ich dann zu Beginn des Jahres eine kleine Annonce in der Rheinischen Post las, in der ein Mann mit 25-jähriger Camino-Erfahrung anbot, Einzelwanderer und Gruppen zu begleiten, war das für mich wie ein Wink mit dem Zaunpfahl. Ich meldete mich an. Wir trafen uns dreimal vor der Reise mit Volker in Köln. Dort wurde besprochen, dass jeder unabhängig, in seinem Tempo, allein oder in der Gruppe wandern und jeder für sich entscheiden sollte, ob er in einer Pension oder Pilger-Herberge übernachtet. Abends sollte sich die Gruppe dann zum gemeinsamen Essen und zur Besprechung für den nächsten Tag treffen. Für mich war klar: Ich wollte in Herbergen übernachten, genau so wie bei meinem ersten Camino-Abenteuer.

30. Mai: Die meisten Teilnehmer flogen von Düsseldorf nach Bilbao. Per Bus ging es nach Pamplona, wo der erste kurze Weg, sechs Kilometer lang, uns zum Hotel führte. So luxuriös war nur die erste Übernachtung. Am Abend saßen wir gemütlich zusammen. Da nur wenige Spanisch sprachen, bestellten wir von der Speisekarte munter drauflos und waren angenehm überrascht, als schmackhafte Kartoffeln, gebackener Tintenfisch und gemischter Salat auf dem Tisch standen.

31. Mai: Ohne Frühstück, denn das gibt es selten in Hotels und Herbergen, ging es am nächsten Morgen um halb sieben los und gleich den Berg hinauf. Der "Alto del Pardón" - der "Berg der Verzeihung" - führte uns hoch auf 735 Meter. Die "Geröllpiste" war für jeden eine echte Herausforderung gleich zu Beginn des Pilgerweges. Die Landschaft war wunderschön, wir liefen zwischen Weinbergen und Olivenhainen bei etwa 28 Grad Hitze. 27 Kilometer war die erste Etappe lang bis zur Herberge in der mittelalterlichen Stadt Puente le Reina, wo der Herbergsvater namens Stalin uns freundlich empfing. Nach der Tour sagten einige Teilnehmer: "Ab heute heißt er 'Berg der Verzweiflung'."

 Monika Hartjes auf der Strecke vor Santo Domingo de la Calzada.

Monika Hartjes auf der Strecke vor Santo Domingo de la Calzada.

Foto: Hartjes

1. Juni: Nach etwa 25 Kilometern und sieben Stunden erreichten wir Estella. Die von Volker ausgesuchte Herberge war leider geschlossen, also suchten wir uns eine andere. In der Municipal, der städtischen Herberge, lagen wir zwischen 30 Pilgern unterschiedlicher Nation in Doppelbetten, die Übernachtung kostete nur sechs Euro. Das nächtliche Schnarchkonzert gab es kostenlos dazu.

2. Juni: Eine bekannte Attraktion hinter Estella ist das Kloster Irache mit seinem Weinbrunnen. Hier darf sich jeder Pilger bedienen. Aus einem Hahn fließt Wasser, aus dem anderen Rotwein. Dort kamen wir früh am Morgen an und entschieden uns - natürlich - für den Rotwein. Aber in Maßen, hatten wir doch noch eine Laufstrecke von 24 Kilometern vor uns. Vernünftig wie ich bin, füllte ich meine Trinkflasche mit klarem Wasser. So kam ich gradlinig und ohne Probleme nach Los Archos, wo unsere Gruppe mit einem fröhlichen "Willkommen" begrüßt wurde. Die Herberge wird von Österreichern geführt.

3. Juni: Nach Viana waren es "nur" 20 Kilometer, dort landeten wir in einer kirchlichen Herberge. Pater Emilio trug uns gleich das Programm vor und erwartete, dass wir alles mitmachten: um 19 Uhr den kunsthistorischen Vortrag, um 20 Uhr den Gottesdienst mit Pilgersegen, um 20.45 Uhr das gemeinsame Essen. Dafür brauchten wir nichts zu bezahlen, es wurde nur um eine Spende gebeten für das Essen der Pilger am folgenden Tag. Unsere "Vorpilger" hatten wohl gut gespendet, denn neben Brot und Salat wurde eine kräftige Linsensuppe mit Speckeinlage serviert und es standen sogar drei Flaschen Rotwein auf dem Tisch. Im Schlafsaal lagen alle auf vier Zentimeter dünnen Matten eng nebeneinander. Da besagte Linsensuppe entsprechende nächtliche Geräusche und Gerüche verursachte, hatte keiner etwas dagegen, bei offenem Fenster zu schlafen, obwohl ein Gewitter die Luft merklich abgekühlt hatte. Am nächsten Morgen hatten wir Rückenschmerzen.

4. Juni: An diesem Tag lagen rund 30 Kilometer vor uns. Kaum hatten wir Logrono erreicht, begann es zu regnen. Da wir auf 700 Meter Höhe "kletterten", kamen uns kleine Sturzbäche entgegen. Neun Stunden waren wir unterwegs, davon vier in strömendem Regen, der uns durchweichte. In der Unterkunft in Sotés bekochte uns die Herbergswirtin am Abend zur Belohnung für die Strapaze.

5. Juni: Nichts ging mehr. Durch den Regen und die damit verbundenen nassen Schuhe hatten sich an meinen Füssen Blasen entwickelt, links eine Blutblase, rechts ein 4,5 Zentimeter langes Prachtexemplar, das unterwegs geplatzt war. Ich lief trotz der nassen Socken wie auf glühenden Kohlen. Im medizinischen Zentrum in Nájera bekam ich einen Termin für 12.54 Uhr und saß tatsächlich pünktlich um 12.55 Uhr auf der Krankenliege, wo mir eine Ärztin die Blasen desinfizierte und mit einem dicken Polsterpflaster beklebte - für Pilger kostenlos. So schaffte ich es bis Azofra.

6. Juni: In Santo Domingo de la Calzada befindet sich die Herberge im Schatten der Kathedrale. Dort gibt es einen Hühnerstall. Eine Legende besagt, dass der Pilger Hugonell aus Xanten des Diebstahls überführt und zum Tode verurteilt worden war. Er wurde gerettet. Der Richter, der das nicht glauben wollte, meinte, der Junge sei so lebendig, wie der Hahn und die Henne, die er gerade verspeiste. Unmittelbar darauf sprangen beide quicklebendig vom Teller. Zur Erinnerung an dieses Wunder gackern Hahn und Henne im kirchlichen Hühnerstall. In der Nähe der Kathedrale trafen wir Andreas Brosthaus aus Dinslaken. Als er hörte, dass ich aus Emmerich komme, fragte er: "Kennen Sie Pastor Theo van Doornick von St. Vitus?" Als ich das bejahte, sagte er: "Bestellen Sie Grüße, er war früher in unserer Gemeinde tätig."

7. Juni: Der Rückreisetag: Die etwa 150 Kilometer, die wir in sieben Tagen erwandert hatten, legten wir in gut eineinhalb Stunden mit dem Taxi zurück nach Bilbao.

Für mich ist diese Pilgerreise noch nicht zu Ende, ich mache nur eine Pause. Denn Ende August werde ich die letzten 150 Kilometer bis Santiago de Compostela laufen - dann hoffentlich ohne Blasen an den Füßen.

(RP)
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