Hamminkeln/Wesel Streit um Nazis in Facebookgruppe Mehrhoog

Hamminkeln/Wesel · In einer Facebookgruppe des Örtchens geht es seit einigen Wochen hoch her. Ausländerfeindliche und rechtsradikale Posts werden geduldet, ein Moderator mit zweifelhaftem Hintergrund wurde gewählt. Doch einige halten dagegen.

Werbung für Spekulatiuskekse, ein Suchaufruf für eine vermisste Katze, ein Stellenangebot - und ein türkenfeindlicher Witz, für den mehr als 40 Menschen den Daumen hoch zeigen. Keine Ausnahme in der Facebookgruppe "Mehrhoog - ein Dorf im Grünen". Mehr als 2700 Mitglieder hat die nicht-öffentliche Gruppe, ihr Zweck ist laut eigener Beschreibung der Austausch über "Klatsch und Tratsch in und um Mehrhoog, aber auch Themen, die uns bewegen".

Doch Realität ist auch dies: In den vergangenen Wochen gab es jedoch immer wieder teils hitzige Diskussionen - vor allem über Flüchtlinge und Flüchtlingspolitik. Einige der Posts sind offen ausländerfeindlich und rechtsradikal. Einige Beispiele: Einer schreibt in einer Diskussion "Scheiss Flüchtlinge", ein anderer "Direkt weg mit solchem Abschaum" und wieder ein anderer: "Menschen sind Menschen? Nein! Ich will nicht mit Ausländer [sic.] auf einer Stufe stehen [...] Deutschland braucht schnell eine Säuberung." Sogar auf die NS-Zeit wird direkt und glorifizierend Bezug genommen: "Wer hätte zu Weimarer Zeiten schon damit gerechnet wie schnell sich das Blatt wenden kann...die Geschichte wiederholt sich, so Gott will." Etwa 100 Mitglieder haben die Gruppe wegen solcher Posts bereits verlassen.

Doch einige halten dagegen und diskutieren. Zu ihnen gehört etwa die Studentin L. Sie ist 21 Jahre alt, wohnt in Mehrhoog und möchte ihren Namen nicht in der Zeitung lesen, aus Angst: "Das spricht sich herum, nachher kommt noch jemand vorbei." Die junge Frau ärgert sich über die vielen "rechten Ressentiments" in der Gruppe. "Ein wiederkehrendes Thema ist etwa der Vergleich von Obdachlosen und Flüchtlingen", sagt L., "den Obdachlosen werde ja nicht geholfen, den ,Goldstücken' aber schon." Goldstücke als Bezeichnung für Flüchtlinge ist ein vor allem in einschlägigen Internetforen verwendeter Begriff.

Zudem seien auch bei der Debatte um eine Begegnungsstätte in Mehrhoog, die im Dezember eröffnet werden soll, Beschimpfungen gefallen. Besonders frappierend war für L. die kürzlich erfolgte Wahl des neuen Gruppenmoderators S. "Nach dieser Wahl gab es auch die Massenaustritte", sagt L. Viele hätten das mit der Wahl von S. begründet - dieser hat auf seinem öffentlich zugänglichen Profilfoto den Neonazi-Slogan "frei sozial national" stehen und teilt Musikvideos von rechtsradikalen Bands.

Auch Michael Möllenbeck gehört zu denjenigen, die dagegenhalten. Er sitzt für die SPD im Hamminkelner Rat. Er hat schon früher mit Rechtsradikalen Konflikte ausgetragen. Einer derjenigen, die auch jetzt in der Gruppe mit unangenehmen Posts auffallen, bezeichnete ihn vor Jahren als "schwule Judensau". Daraufhin zeigte Möllenbeck den Mann, der 2012 bei der NRW-Landtagswahl in Duisburg für die NPD antrat, an. Für Möllenbeck zeigt sich an der Facebookgruppe: "Es gibt immer noch eine rechte Gruppe hier." Damit spielt er auf die frühen 2000er Jahre an. Damals sei Mehrhoog als "braunes Kaff am Niederrhein" verschrien gewesen. "Da trafen sich am 20. April, dem Geburtstag von Adolf Hitler, schonmal größere Gruppen hier."

In den vergangenen Jahren wurde es ruhiger im Dorf. Die aktuellen Einträge bei Facebook zeigen, dass es noch immer die gleichen Ressentiments gibt: Ausländerfeindlichkeit, Rechtsradikalismus, Verherrlichung angeblich besserer alter Zeiten. Das beobachtet auch K. mit Sorge. Der 25-Jährige, der seinen Namen ebenfalls nicht nennen will, ist auch Gruppenmitglied. Er sagt: "Den rechten Kreis gibt es in Mehrhoog noch immer - aber nicht mehr die öffentlichen Versammlungen." Früher hätten sich die Neonazis etwa an der Tankstelle getroffen - jetzt hätten sich die Diskussionen ins Internet verlegt. "Diese Personen sind jetzt eben bei Facebook aktiv." Das sieht auch N. so, der zwar selbst nicht in Mehrhoog wohnt, dort aber viele Freunde hat und oft zu Besuch ist. "Genau die gleichen Leute, die früher immer Probleme gemacht haben, tauchen heute in der Gruppe auf", sagt er. "Und ihre rechten Thesen werden akzeptiert, einige geben auch direkt zu, dass sie die NPD oder die AfD wählen."

Damit entspricht die Mehrhooger Gruppe einem bundesweiten Trend. Rechtsextreme nutzen immer stärker die sozialen Medien - ob Facebook, Twitter, Instagram oder Youtube. Besonders professionell betreibt dies laut der Onlineplattform jugendschutz.net die "Identitäre Bewegung". Aber auch in vielen privaten Gruppen seien Rechtsradikale aktiv, diskutieren, beeinflussen Meinungen. Wie bei "Mehrhoog im Grünen".

Die Administratorin, B., und die beiden Moderatoren S. und S., weisen die Vorwürfe zurück, nach denen in der Gruppe tendenziöse Beiträge zugelassen und andere gelöscht werden. "Es werden alle Beiträge von Mitgliedern gleich behandelt", sagt etwa Administratorin und Gruppengründerin B., "es sei denn, sie sind unserer Meinung nach von vorneherein nur auf Provokation ausgerichtet." Zudem habe die private politische Einstellung von Moderator S. nichts mit seiner Tätigkeit in der Gruppe zu tun. Es hätten ihn eben die meisten gewählt. 250 Mitglieder der mehr als 2700 hatten an der Wahl teilgenommen, mehr als 80 stimmten für ihn.

Allen geht es in der Gruppe demnach um ein friedliches und freundliches Miteinander, um den Austausch in einer netten Nachbarschaftsgruppe, um, wie es Administratorin B. schreibt, "Gesuche, Verkäufe, Werbung, Rezepteaustausch, Witze, Neuigkeiten und auch Politik und sonstiges." Man sollte sich hier, so. B., über alles unterhalten können, über das man sich auch im "richtigen Leben" unterhalten würde. Jeder dürfe seine Meinung sagen, "doch wer nur zanken will und immer weiter provoziert, der wird eben gebremst." Dass etwa der Türkenwitz nicht gelöscht wird, scheint dem in der Meinung der Moderatoren nicht zu widersprechen.

Die Vorgänge um die Wahl von S. zum Moderator wurde von ihm selbst durchaus als "hitzig" wahrgenommen, es habe "grenzwertige Kommentare" gegeben. Den Vorwurf, er sei dem rechtsradikalen Spektrum zuzuordnen, bestätigt S. weder noch weist er ihn explizit zurück: Vielmehr verweist auch er darauf, dass seine private Einstellung mit der Tätigkeit als Moderator nichts zu tun habe.

Sowohl Michael Möllenbeck als auch K. und M. wollen trotzdem in der Gruppe bleiben - auch wenn sie nicht jede Diskussion führen können. "Das ist schon sehr anstrengend", sagt M., "manche sind in ihren Meinungen völlig festgefahren." An der Debatte um die Begegnungsstätte habe man gesehen, dass viele auch schlecht informiert seien, sagt Michael Möllenbeck. "Schließlich ist die Stätte für ein Dorf wie Mehrhoog, in dem es sonst kaum noch Treffpunktmöglichkeiten gibt, ein Segen." Sorgen, dass der Online-Aktionismus auch wieder auf die Straße getragen wird, hat Möllenbeck indes nicht. "Die meisten von den Leuten, die solche Sachen posten, sind Feiglinge - die würden das auf der Straße niemals sagen."

Das sieht auch L. so: "Diese Leute rotten sich bei Facebook zusammen, aber nicht im echten Leben." Auch sie möchte aber in der Gruppe bleiben. Schließlich sei die Idee der Gruppe - Nachbarschaftshilfe, Infos, Meldungen - immer noch präsent. Und L. ist überzeugt: "Man muss dagegenhalten, mit den Leuten diskutieren. Sonst haben wir nichts aus der Geschichte gelernt."

(kess)
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