Serie Hinter Den Kulissen Parken im Atombunker

Wesel · Die Tiefgarage unterm Großen Markt wurde im Kalten Krieg als Luftschutzbunker geplant. Hermetisch abgeriegelt hätten so knapp 3000 Menschen einem Atomschlag entkommen sollen. Was bleibt sind Trocken-Aborte und die Hoffnung auf Frieden.

Ohne die Lüftungsanlage wäre ein Überleben im Bunker nichtmöglich. Die Außenluft wird mittels Quarzsand gefiltert und in den Innenraum gepumpt.

Ohne die Lüftungsanlage wäre ein Überleben im Bunker nichtmöglich. Die Außenluft wird mittels Quarzsand gefiltert und in den Innenraum gepumpt.

Foto: Malz Ekkehart

Wesel Eine Stunde Parken kostet am Großen Markt einen Euro. Früher kostete die erste halbe Stunde 50 Pfennig, jede weitere angefangene Stunde eine Mark. Früher, das war im Dezember 1989. Die Mauer war gerade gefallen, der Eiserne Vorhang wölbte sich in einem warmen Lüftchen der Aussöhnung und in Wesel öffnete die Tiefgarage Großer Markt zum ersten Mal ihre Tore. Von Autofahrern lang ersehnt und für die Bauherren gerade noch rechtzeitig. Denn zwei Jahre später hätte es den Beschluss so nicht mehr gegeben.

Dicke, schwere Eisentüren riegeln alle Räume luftdicht ab.

Dicke, schwere Eisentüren riegeln alle Räume luftdicht ab.

Foto: Malz Ekkehart

Der Bau der Tiefgarage sei im August 1988 entschieden worden, sagt Ingrid Giesen vom Grundstücksmanagement der Stadt. Die Zukunft der Trapp-Zeile wurde indes noch hitzig diskutiert. Aber die Tiefgarage sollte nicht nur die Stadtentwicklung vorantreiben, sondern diente auch einem ganz anderen Zweck. Beim Bundesamt für Zivilschutz wurde sie als einziger öffentlichen Schutzraum im Kreis gelistet.

Serie Hinter Den Kulissen: Parken im Atombunker
Foto: Ekkehart Malz (4)

Die Behörde gibt es heute nicht mehr. Sie heißt nun Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Was vom Weseler Schutzraum im Jahr 2016 übrig bleibt, sind in Kisten verpackte Trocken-Aborte samt dazugehöriger Einhängebeutel, drei einsame Feldbetten, verlässlich aufgereihte weiße Waschbecken aus Stahl, Doppelherdplatten und das Schaudern, das im Muff warmer Autogase aufgeht, im Falle eines Atomangriffs einer von 2930 Menschen zu sein, der in einer von Eisentüren verschlossenen Tiefgarage ausharren muss. Während die Welt außerhalb langsam zerbricht.

 Zum Lagerraum, der hinter den Parkplätzen versteckt liegt, hat nur die Feuerwehr noch Zutritt. Hier sind unter anderem Waschbecken gelagert.

Zum Lagerraum, der hinter den Parkplätzen versteckt liegt, hat nur die Feuerwehr noch Zutritt. Hier sind unter anderem Waschbecken gelagert.

Foto: Malz Ekkehart

Seit Mitte der 1960er Jahre wurden in der Bundesrepublik öffentliche Zivilschutzräume errichtet. Insgesamt entstanden in Westdeutschland etwa 2000 Anlagen. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs waren Bunker zunächst durch die Alliierten verboten worden. Doch die verschiedenen ideologischen Zielvorstellungen der Ost- und Westmächte zeichneten schon bald eine neue Bedrohung ab. Insbesondere die britischen Besatzungsmächte in Nordrhein-Westfalen fürchteten die Atommacht Sowjetunion. Im Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz wurde schließlich die Einrichtung von sogenannten Mehrzweckbauten festgelegt. Der Große Markt Wesel ist so ein Fall. Wer in der Tiefgarage unter dem Markt parkt, hat sein Auto auch heute noch im Kalten Krieg abgestellt. Wer nicht aufmerksam war, musste es einige Samstage auch dort zurücklassen.

 Thomas Gerlach kann sich noch gut daran erinnern, wie es war, alle Tore der Tiefgarage einmal im Jahr zu verschließen. Dann hieß es: abwarten.

Thomas Gerlach kann sich noch gut daran erinnern, wie es war, alle Tore der Tiefgarage einmal im Jahr zu verschließen. Dann hieß es: abwarten.

Foto: Malz Ekkehart

Thomas Gerlach kann sich noch gut an diese Samstage erinnern. Auch wenn er froh ist, diese Aufgabe nun los zu sein. Für die Verwaltung des Schutzraumes war nämlich nicht der Bund, sondern die Kommune zuständig. In Wesel war das die Feuerwehr. Thomas Gerlach ist eigentlich Verwaltungsbeamter für Feuerschutz, Zivilschutz und Katastrophenschutz. Aber auch der Staatsdiener musste mit anpacken. "Wir haben Blut und Wasser geschwitzt", erzählt Gerlach. Denn ein bis zweimal im Jahr musste der Schutzraum auf seine Funktionsfähigkeit überprüft werden. Bis der Bunker abgedichtet war, dauerte es jedes Mal viele Stunden.

Noch heute liegen die massiven Eisentore in den Wänden versteckt, etwa an den Einfahrten. Sie rauszufahren war Schwerstarbeit. "Dann kam der Tüv", erzählt Thomas Gerlach. Der Luftschutzbunker musste auf Undurchlässigkeit überprüft werden und wurde dafür unter Überdruck gesetzt. "Das ist wie beim Tauchen", sagt Thomas Gerlach. "Man kann normal atmen." Bei einem atomaren Angriff wäre Luft von außen tödlich gewesen. Eine Quarzsand-Filteranlage hätte die Fluchtsuchenden im Bunker mit Sauerstoff versorgt. Die Feuerwehrleute haben diese Probezeit mit Kaffee und belegten Brötchen überbrückt. "Wir haben uns Tisch und Stühle in den Elektroraum gestellt und gewartet", erzählt Gerlach.

Das Notstromaggregat steht heute noch. Schwarze Punkte an den Wänden markieren noch immer die Stellen, an denen die Waschbecken hätten angebracht werden sollen. Im Lagerraum sind neben Trinkbehältern auch Plastikplanen gehortet, um die nötige Privatsphäre im Bunker gewährleisten zu können. Im Ernstfall hätten so fast 3000 Menschen bis zu 30 Tagen dem Atomangriff entkommen sollen. Aber auch nur diejenigen Weseler, die bei Alarm zufällig in der Nähe des Marktes unterwegs gewesen wären. An das Danach denkt der Bunker nämlich nicht.

Seit 2005 wird der Schutzraum nicht mehr überprüft. Der Bund hat das Konzept eingestellt. Die Tiefgarage gehört heute wie damals der Bauherrin, der Park-Bau KG in Nordhessen. Das Grundstück der Stadt. "Für uns war die Mehrzwecknutzung eine Finanzierungshilfe, die sich gerechnet hat", sagt Geschäftsführer Rainer-Michael Rudolph heute. Der Bund, das Land und die Stadt haben die Tiefgarage mit Schutzraumfunktion kräftig bezuschusst. Übrig bleibt eine Tiefgarage und die Hoffnung, dort nur noch parken zu müssen.

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