Peter Giesen Und Dr. Werner Kook Niag: "Wir schaffen Kostentransparenz"

Wesel · Im Nahverkehrsplan soll das Verkehrsangebot für einzelne Städte im Kreis Wesel reduziert werden. Die beiden Niag-Chefs Peter Giesen und Dr. Werner Kook sprechen über Fahrgastzahlen, öffentlich-private Partnerschaft und den Verkehr der Zukunft.

 Peter Giesen (l.) und Werner Kook auf dem Niag-Betriebshof in Moers.

Peter Giesen (l.) und Werner Kook auf dem Niag-Betriebshof in Moers.

Foto: Sebastian Peters

Herr Dr. Kook, Herr Giesen, der vom Kreis Wesel in Auftrag gegebene Nahverkehrsplan steht derzeit stark in der Kritik, weil er Kürzungen auf vielen Linien vorsieht. Auch Ihr Unternehmen Niag wird in diesem Kontext kritisch beäugt. Die Niag sei zu sehr in privatwirtschaftlicher Hand, hört man immer wieder. Der Kreis lasse sich von der Niag seine Nachfrage diktieren, kritisiert der Fahrgastverband Pro Bahn.

Werner Kook Die Niag ist in der Tat kein rein kommunales Unternehmen mehr. Ich glaube aber, und die Entwicklung des Unternehmens bestätigt dies, dass die Beteiligung der Rhenus Veniro dem Unternehmen und letztlich auch den Kommunen hilft. Mit dem privaten Partner schaffen wir wirtschaftliche Strukturen und eine Kostentransparenz. Natürlich kann sich die Politik entscheiden, mehr als die vom Gutachter vorgeschlagene Leistung im ÖPNV zu fordern. Wir wissen aber vorher, was rauskommt, und informieren über den zusätzlich entstehenden Aufwand. Eine solche zusätzliche Verkehrsleistung erfordert Ausgleichszahlungen vom Kreis Wesel. Dieser hat sich zum Ziel gesetzt, langfristig einen zuschussfreien ÖPNV im Kreis sicher zu stellen.

In Wesel und auch in Xanten stehen Veränderungen im Nahverkehrsplan an: Einige Linien sollen seltener fahren. Wie erklären Sie dies den Kommunen?

Peter Giesen In Summe bieten wir im Kreis Wesel von den Fahrplankilometern her seit Jahren ungefähr die gleichbleibende Leistung an wie früher. Wir reagieren aber auf Nachfrageveränderungen und nehmen in Abstimmung mit den Kommunen Verschiebungen vor. Ursachen hierfür sind zum Beispiel Veränderungen in der Schullandschaft, Entwicklung neuer Baugebiete, Ansiedlungen von Betrieben. Für Wesel und Xanten können wir aufzeigen, dass das aktuelle Verkehrsangebot nicht in der Größenordnung nachgefragt wird, insbesondere morgens früh und am Wochenende.

Kook Der Kreis Wesel bestimmt, was er haben will. Er will am Ende das ÖPNV-Niveau auf bisherigem Stand erhalten. Das ist in der gegenwärtigen Diskussion wichtig zu betonen.

Giesen Die vom Kreis Wesel gestellte Aufgabe lautet, dass auch nach 2019 die Kommunen keine Zulagen im ÖPNV zahlen müssen. Am Ende profitieren alle Städte.

Dass aber die Verliererkommunen klagen, ist doch natürlich. Im Nahverkehrsplan wird an einer Stelle stark gekürzt, an anderer Stelle ausgebaut. Es gibt also eindeutig Gewinner und Verlierer, und die halten im Grunde identische Anteile am Unternehmen Niag.

Kook Damit wir uns nicht falsch verstehen: Wir sind Dienstleister und fahren auch einen einzigen großen Bus alleine bis in die entlegensten Winkel unseres Verkehrsgebietes. Am Ende bestimmt das die Politik, die sich dann aber auch mit der Frage um Zuzahlungen auseinandersetzen muss. Früher haben die Kommunen bei der Niag ständig Geld nachschießen müssen. Der Kreis Wesel will ein zuschusssfreies Grundangebot zur Verfügung stellen. Wenn einzelne Kommunen zusätzlich Bedarf sehen, dann sind diese auch von den Kommunen zu organisieren und zu finanzieren.

Gibt es Gewinnerlinien, also solche Kommunen, bei denen Sie gute Perspektiven für den Busverkehr sehen?

Kook Ich sehe im Gebiet Kleve/Nimwegen mit seiner neu entstandenen Hochschullandschaft ein hochinteressantes Entwicklungsgebiet. Dort wurden in den vergangenen Jahren tendenziell mehr als weniger Busse gebraucht. Dass es bei der Größe unseres Verkehrsgebietes - vergleichbar mit der Größe des Saarlandes - immer wieder zu Veränderungen kommt, ist in meinen Augen ganz natürlich.

Aber es muss doch diesen Punkt geben, an dem ein Minderangebot ins Negative umschlägt: Wenn die Taktung von Bussen in meiner Stadt zu gering ist, wenn der Bus nur noch zweimal am Tag fährt, dann nutze ich ihn irgendwann nicht mehr, dann setze ich aufs Auto. Dieser Punkt scheint doch am Niederrhein vielerorts längst erreicht.

Giesen Natürlich kann es solche Entwicklungen geben, man kann das allerdings nicht pauschal beantworten, sondern muss das von Stadt zu Stadt differenziert betrachten. In der Regel werden vom Kreis auch mit externer Unterstützung Analysen vorgenommen, um solche Entwicklungen zu verhindern.

Wie viele Busse hält die Niag für ihre Verkehrsleistung vor?

Giesen Wir liegen bei rund 400 Fahrzeugen im gesamten Netz. 60 Prozent werden von uns selbst, 40 Prozent von Subunternehmern im Auftrag der Niag betrieben. Diese Busse setzen wir in Betriebszeiten zwischen 3 und 1 Uhr ein. Dieses Netz gilt es zu optimieren. Ein immer größeres Erfolgsmodell ist der Bürgerbus, der als Zubringer und als Alternative zum regulären Linienverkehr funktioniert. Wir unterstützen die neu entstehenden Bürgerbus-Vereine, etwa in Brünen und Kalkar. Die Bürgerbusse können durch den ehrenamtlichen Einsatz der Fahrer zu wesentlich geringerem Aufwand betrieben werden.

Das erstaunt nicht, wenn die Fahrer ehrenamtlich tätig sind. Noch einmal: Zieht sich die Niag hier nicht aus der Verantwortung?

Kook Wir müssen als Unternehmen im digitalen Zeitalter mit ständig neuer Technik unser Mobilitätskonzept überdenken. Da ist es keine Pauschallösung mehr, Busse ständig bis in den hinterletzten Winkel fahren zu lassen. Das ist auch der Grund, warum wir uns beispielsweise neuerdings im Car-Sharing-Bereich engagieren. Wenn die Menschen eigene Autos haben, sind sie für uns als Busbetreiber in der ländlichen Region verloren. Deshalb müssen wir Modelle finden, wie wir Verkehr neu organisieren, mit Fahrrad, Car-Sharing, Bürgerbussen und großen Buslinien. Der Individualverkehr wird zurückgehen, künftig geht es um individualisierten Gemeinschaftsverkehr, also um On-Demand-Lösungen. Im Übrigen spielt dabei das Smartphone als Informationsgeber eine immer größere Rolle. Die Technik ist da, das Bewusstsein ist da. Das Smartphone ist der Schlüssel für uns. Wir werden zukünftig als Niag ein Mobility Manager.

Wann wird man auf sein Auto verzichten können und dennoch schnell jeden Ort am Niederrhein erreichen. Zum Beispiel mit einer App, die mir sagt, wann ich wo ankomme, und das für alle Verkehrsverbünde, Car-Sharing-Modelle und Bürgerbusse?

Kook Ich glaube nicht, dass es noch so lange dauert. Innerhalb der nächsten 15 bis 20 Jahre wird das meines Erachtens Realität werden.

Ich hatte damit gerechnet, dass Sie nun von zehn Jahren sprechen. Da muss doch irgendein Google oder Start-Up-Unternehmen längst dran werkeln.

Kook Vielleicht kommt alles auch schneller. Mit meinem derzeitigen Wissen würde ich von 15 bis 20 Jahren ausgehen.

Einen großen Anteil macht der Schülerverkehr aus. Wie trägt dieser zum Unternehmensergebnis bei?

Kook Die Fahrten im Schülerverkehr stellen uns vor immer größere Herausforderungen. Eine Problemlage ergibt sich daraus, dass wir in der Zeit rund um 8 Uhr zu Schulbeginn die Maximalanzahl an Bussen vorhalten müssen und diese Situation sich durch Standortkonzentrationen verstärkt. Durch leichte Verschiebungen beim Unterrichtsbeginn könnten wir erreichen, dass Busse effektiver eingesetzt werden. Wir brauchen derzeit fast 30 Busse, die nach einer Stunde Einsatz am Morgen nur noch in der Halle stehen. Starker Verkehr rund um ein Schulzentrum am Morgen muss verhindert werden.

Giesen Ich nenne als Beispiel das Rheinberger Schulzentrum: Dort haben wir ein starkes Busaufkommen, zusätzlich viele Elterntaxis und natürlich die vielen hundert Schülerinnen und Schüler, die sich zeitgleich auf engem Raum bewegen. Da können auch brenzlige Situationen entstehen. Wenn man das entzerren könnte, würde es allen helfen. Wir haben diesen Wunsch schon häufiger ausgesprochen, sind aber in der Umsetzung noch nicht weiter gekommen.

Wie wirkt sich die 51-prozentige Beteiligung von Rethmann im Unternehmen Niag aus?

Giesen Die Niag ist in meinen Augen ein Beispiel für eine Erfolgsgeschichte einer öffentlich-privatwirtschaftlichen Partnerschaft. Der Kreis Wesel gab - aus der Situation heraus, dass jährliche Ausgleichszahlungen in Millionenhöhe geleistet werden mussten - 2006 Anteile ab. Heute steht das Unternehmen wirtschaftlich auf stabilen Beinen. Am Anfang herrschte in den politischen Diskussionen die große Sorge, dass eine "Heuschrecke" kommt, das Unternehmen zerschlägt und nach kurzer Zeit wieder verschwindet. Nach mehr als zehn Jahren ist der private Partner Rhenus Veniro immer noch da und man kann sagen: Es war eine gute Entscheidung, Anteile zu verkaufen. Es werden jetzt ÖPNV-Verkehrsleistungen zu deutlich besseren Konditionen für die Kommunen erbracht.

Kook Und noch eine Sorge hat sich nicht bestätigt: Wir zahlen Tariflöhne, keine Dumpinglöhne. Wir haben die Verpflichtungen gegenüber der Mitarbeiterschaft aus dem früheren Unternehmen übernommen. Die Niag hat über 100 Jahre Verluste gemacht. Dieses Blatt hat sich gewendet - auch zum Wohle der Mitarbeiter.

Wie haben Sie es geschafft, die Niag aus den roten Zahlen zu bringen?

Giesen Die Niag ist nicht allein ÖPNV-Anbieter. Der öffentliche Personennahverkehr macht 40 Prozent unseres Geschäftes aus, 60 Prozent entfallen auf die Logistik. Diese hat geholfen, aus den roten Zahlen zu kommen. Die Niag ist durch die Zugehörigkeit zu Rhenus Teil eines großen Logistiknetzwerkes, hat in Orsoy einen Rheinhafen für den Umschlag von Massengütern, wir haben Gleisstrecken. Und wir haben dazu eine eigene Waggonwerkstatt in Moers, in der wir nicht nur eigene Waggons reparieren, sondern auch die anderer Unternehmen.

Kook Man muss an dieser Stelle auch warnen: Die Schiene verliert an Wettbewerbsfähigkeit. Jeder in der Politik weiß das, aber es wird nicht an den Stellschrauben gedreht. Wir wollen Lkw von der Straße holen, mehr Transporte auf Schiene und über Wasser managen, halten aber nicht die Infrastruktur dafür vor. Wir als Niag sind mit dem Rheinhafen Orsoy gut aufgestellt. Aber man muss klar sagen, dass unter anderem Bedarf an Kohle für Kohlekraftwerke in Deutschland zurückgeht. Wir wirtschaften aber ordentlich. Für das Jahr 2016 kommt der Sondereffekt dazu, dass der Dieselpreis günstig war. Dennoch sind wir im klassischen Linienverkehr noch nicht kostendeckend. Das muss bis 2019 besser werden, dieses Ziel hat sich der Kreis gesetzt. Der neue nachfrageorientierte Nahverkehrsplan soll sicherstellen, dass das ÖPNV-Angebot im Linienverkehr ohne Zuschüsse des Kreises erfüllt werden kann.

Helfen Sie uns mit einer Faustformel: Wenn wir künftig einen Bus auf der Straße sehen: Ab wie viel Fahrgästen fährt der Bus wirtschaftlich?

Giesen Das ist so nicht ganz einfach zu beantworten. Man sieht immer nur den Status Quo. Das kann sich an der nächsten Haltestelle wieder ändern.

15 Fahrgäste, 20 Fahrgäste?

Kook (lacht): Wenn 15 Fahrgäste drin sitzen, bin ich schon zufrieden. Ich sehe zu oft Busse, die leer fahren.

SEBASTIAN PETERS FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
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