Wesel Lehrjahre im Vermesser-Waggon

Wesel · Heute vor 50 Jahren trat Heinz Breuer (67), CDU-Ratsherr und Ehrenvorsitzender des Hamminkelner Verkehrsvereins (HVV), seine Lehre als Vermessungstechniker im Weseler Büro Wegner an. Das teilte er sich mit den Hühnern, die nachts unter den Zeichentischen schliefen.

HAMMINKELN/WESEL Was Heinz Breuer (67) heute vor 50 Jahren gemacht hat, weiß er noch ganz genau. Das Ergebnis seiner Arbeit ist – angegilbt zwar, aber säuberlich abgeheftet – gut erhalten. Am 1. April 1960 trat der damals 17-jährige Junge aus Wesel, der das Gymnasium in Xanten besucht hatte, seine Lehre im Büro des Öffentlich bestellten Vermessungsingenieurs Felix Wegner an. Die erste Aufgabe des Stifts bestand darin, seinen Lehrvertrag abzutippen, ehe der Chef seinen Lehrling per Handschlag "zu gewissenhafter Arbeitsleistung und zur Verschwiegenheit" verpflichtete.

Ans Schweigegelübde sieht sich der Pensionär Breuer nicht mehr gebunden. Die Erlebnisse liegen ihm am Herzen, so dass die Erinnerungen an die so ganz andere Zeit nur so sprudeln.

Das Vermessungsbüro Wegner in Wesel war 1947 aus der "Villa Luise" an der Nottebomstege umgezogen in einen ausrangierten Eisenbahnwaggon auf dem wild bewachsen Grundstück an der Wedell-/ Ecke Kreuzstraße. Amtliche Adresse: Behelfsheim Vermessungsbüro Wegner. Während im größeren Abteil sechs Angestellte an klapprigen Tapeziertischen zeichneten, diente der hintere Teil dem damals fast bereits im Pensionsalter befindlichen Chef und seiner Gattin Elisabeth, "die er nur Mausi" nannte, als Wohn- und Schlafraum.

Das Schaf an der Kette

Da die Zeiten noch schlecht waren, hielten sich die aus Pommern geflohenen Eheleute ein paar Hühner, ein Schaf und ein Schwein. Die Hühner liefen nachts unter den Zeichentischen und wurden von Bürobeginn bis Feierabend ins Glacis gescheucht. "Das Schaf führte der Chef an der Kette zum Grasen auf der grünen Mitte der Ringstraßen", erzählt der damalige Lehrling.

In der Mittagszeit durfte die Rechenmaschine im Büro nicht rattern. Denn der Chef, der im Nachkriegs-Wesel vornehmlich Baugebiete in Obrighoven und Lackhausen ausgemessen hat, hielt großen Wert auf ein ausgedehntes Nickerchen. Seine Leute behandelte er hemdsärmlig, aber gut, so Breuer. "Mein Gehalt bekam ich schon mal, wenn ich abends für meinen Vater Bier holen ging und ich am Café Hülshorst vorbei kam, wo mein Chef mit Skat drosch", so Breuer. "Das Geld steckte in gebrauchten Briefumschlägen, manchmal in schwarz umrandeten Totenbriefen." Überhaupt: Felix Wegner legte wenig Wert auf Etikette. Den Außendienst absolvierte er im "Kleppermantel, dessen Winkelhaken mit Heftpflaster provisorisch geflickt waren", so Breuer. Einmal sei der Chef im Graben gelandet. Da tauschte er kurzerhand die nasse Hose mit dem abgenutzten Stoff, mit dem sonst das metallische Maßband sauber geputzt wurde.

"Mausi" war draußen stets dabei, hatte die Aufgabe ein Lokal für die Mittagspause auszukundschaften. Hier wurden oft Grenzverhandlungen geführt, weil beim Pflügen Grenzsteine verschwanden und sich die Grenzen von Jahr zu Jahr unmerklich verschoben. Um das ins Lot zu bringen, schütteten die Bauern den Landvermessern gern einen ein, bis die leere Schnapsflasche mit dem Hals nach unten unter den Stein gesetzt wurde. Rechnungen wurden zwar geschrieben, aber nicht spezifiziert, angepasst an die finanzielle Lage des Kunden.

Felix Wagner starb 81-jährig am 11. November 1964. Das Datum passte zu "Mannchen, der so ein lustiger Gesell war", soll die Witwe gesagt haben soll.

(RP)
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