Wesel Klaviersommer steigert sich mitreißend

Wesel · Die Haltung am Flügel: jede Körperfaser konzentriert, aber ohne die geringste Selbstdarstellung. Der Anschlag: erstaunlich differenziert vom ersten Ton an. So aufmerksam wie behutsam den Klangtext ertastend, eins mit ihm werdend, sich dann in die existenziellen Fragen der Klaviersonate Nr. 23, op. 57, der "Appassionata" von Beethoven stürzend: buchstäblich mitreißend. Wie der gerade mal 25 Jahre alte russische Pianist Alexei Melnikov seine Auseinandersetzung mit den Unwägbarkeiten des Seins, wie sie Beethoven unerbittlich klar formuliert hat, bestand, nötigte den Hörern hohen Respekt ab.

 In der Aula der Musik- und Kunstschule (rechts) erlebten die Hörer einen besonderen Klavierabend.

In der Aula der Musik- und Kunstschule (rechts) erlebten die Hörer einen besonderen Klavierabend.

Foto: Ekkehart Malz

Im zweiten Konzert des Weseler Klaviersommers überzeugte das fundamentalere Können des hierfür engagierten Pianisten. Eine Hörerin brachte es in der Pause so auf den Punkt: "Voriges Mal war es eher ein Techniker, dieser heute ist ein Musiker." Die radikal gehämmerte, elementare Wucht des Allegro Assai erschütterte; im Andante con moto riefen Klänge, ernst wie ein Choral, zum Nachdenken, übergangslos brandeten die Wogen des finalen Allegro ma non troppo auf, bis zum Absturz - bis zur stets offenen Frage. Danach von Chopin Zwei Nocturnes op.15 und ein Walzer aus op. 34. Keine Salon-Atmosphäre, wie sie jenem Komponisten oft zugeschrieben wird. Auch über all dem scheinbar leichten Schweben hier die Schatten der menschlichen Unvollkommenheit und des irdischen Scheiterns, gebändigt zwar, aber deutlich da.

Nach der Pause wieder der unbedingte Zugriff des jungen Menschen auf die Rätsel der Welt in Prokofievs Klaviersonate Nr. 6, op. 82. Die Urgewalt des Lebens bestimmte auch hier die ständige Bewegung. Der erste Allegro-Satz zähmte seine Kraft, ließ im folgenden Allegretto feineres, stetiges Hämmern zu, das vorwärts trieb zu einem Atem gewährenden Walzer. Dieser verlor sich in einem ungestümen Vivace.

Auch Griegs Peer-Gynt-Suite Nr. 1, arrangiert von Grigory Ginsburg, erzählte von Leben und Tod. Vom steigenden Morgenlicht, vom Sterben der erdmüden Mutter Ase, von der Lockung des Fremden im Tanz einer Schönen und der Ahnung der Ewigkeit in der steinernen Halle des Bergkönigs.

Nach großem Applaus aus dem Publikum gab es dann noch eine Zugabe mit Musik von Gluck - sinnenfroh, harmonisch, auch tröstend.

(hb-)
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