Himmel & Erde Gesellschaft außer Kontrolle

Wesel · Es sind schockierende Szenen, die sich gestern in Brandenburg abgespielt haben: Nach einem Unfall hatte sich auf der A10 zwischen Falkensee und Brieselang ein Stau gebildet, bei dem zahlreiche Autofahrer sowie einige Lastwagenfahrer die Geduld verloren - und zu Geisterfahrern wurden.

Himmel & Erde: Gesellschaft außer Kontrolle
Foto: Malz Ekkehart

Auf der noch nicht gesperrten Autobahn fuhren die Fahrzeuge in entgegengesetzter Fahrtrichtung durch die Rettungsgasse bis zu zwei Kilometer zurück zur nächsten Auf- und Abfahrt, um dadurch dem Stau zu entkommen. Auch ein großer 40-Tonner wendete in einem langwierigen Rangiermanöver. Im Ernstfall wären nachrückende Einsatzkräfte hoffnungslos steckengeblieben - blockiert durch 20 bis 30 Autos und Lastwagen.

Immer wieder werden wir in letzter Zeit durch das Verhalten uneinsichtiger und aggressiver Verkehrsteilnehmer und Mitbürger aufgeschreckt. Rettungsgassen werden mutwillig verstopft und Handyaufnahmen selbst von schwerstverletzten oder verstorbenen Unfallopfern gemacht. Feuerwehrleute, Polizisten, Rettungssanitäter und Notärzte werden während ihrer Einsätze zunehmend beschimpft, bedroht und angegriffen.

Am Montagabend haben in Meerbusch drei junge Männer den Abtransport eines verletzten Kindes durch einen Rettungswagen verhindert, indem sie die Straße mit Müllcontainern und Möbelteilen blockiert haben. Die Orgie an Gewalt gegen Polizisten und fremdes Eigentum durch einen menschenverachtenden hochkriminellen schwarzen Block während des G 20-Gipfels in Hamburg vor zwei Wochen steht uns allen noch nachdrücklich vor Augen.

Rücksichtslosigkeit und aggressiver Egoismus bis hin zum Einsatz von blinder Gewalt gegen Menschen und Sachen scheint in unserer Gesellschaft zunehmend salonfähig zu werden. Viele gucken weg oder fühlen sich offenbar wie ein Teil einer Reality-Doku, an der sie als gaffende Zaungäste feixend teilnehmen können. Polizisten berichten, dass während der gewalttätigen Ausschreitungen im Hamburger Schanzenviertel unbeteiligte Anwohner und offenkundig extra dafür angereiste Touristen die Chaoten durch Zurufe und Klatschen weiter angefeuert haben.

Eine Gesellschaft braucht viele Faktoren, um gut zu funktionieren. Ein wesentlicher Faktor ist die emotionale Empathie, also die Fähigkeit und Bereitschaft, Empfindungen, Gedanken, Emotionen, Motive und Persönlichkeitsmerkmale einer anderen Person zu erkennen und zu verstehen und sie als gleichrangig mit den eigenen Empfindungen und Bedürfnissen einzuordnen. Verlieren wir unsere empathischen Fähigkeiten, dann verliert unsere Gesellschaft insgesamt.

Der Einzelne setzt sich an die erste Stelle, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Gefühle seiner Mitmenschen. Empathie zu vermitteln setzt überall an: in der Erziehung und in der Bildung, am Arbeitsplatz und in der Politik, in der Kirche und im Sportverein. Ein Gemeinwesen kann nur dann stark sein, wenn es empathisch ist, eine Gesellschaft ohne Mitgefühl und Rücksicht hat sich dagegen schon längst aufgeben.

Thomas Brödenfeld

(RP)
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