Sabine Weiss "Es gilt, die Nächstenliebe zu erhalten"

Wesel · Die CDU-Bundestagsabgeordnete und Kreisvorsitzende deutet das Wahlergebnis in Mecklenburg-Vorpommern und erklärt, welche Schlüsse sie daraus für die Landtags- und Bundestagswahlen im kommenden Jahr zieht.

Sabine Weiss: "Es gilt, die Nächstenliebe zu erhalten"
Foto: bsw

Die AfD hat die CDU bei der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern hinter sich gelassen. Wie sehr hat Sie das Wahlergebnis erschreckt?

Sabine Weiss Das war nach den Prognosen zu erwarten. Aber es war ein bitteres Wahlergebnis, eine bittere Niederlage für die CDU, auch wenn es, wenn man es analysiert, sicher nicht auf die gesamte Republik übertragbar ist.

In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz haben Ministerpräsidenten die Wahl mit einem recht eindeutigen Bekenntnis zur Flüchtlingspolitik Angela Merkels gewonnen - allerdings niemand aus den Reihen der Christdemokraten. Ist in Mecklenburg-Vorpommern tatsächlich die Kanzlerin abgestraft worden oder doch eher der Umgang der Union mit Angela Merkel und ihrer Politik?

Weiss Mein Reden ist seit einem Jahr: Leute, wenn wir nicht mit einer Stimme nach draußen gehen, wie sollen uns die Menschen glauben, dass wir das in den Griff bekommen. Es muss zu Irritationen und Sorgen bei den Menschen führen, wenn wir uns in dieser Weise um den richtigen Weg streiten. Demokratie ist auch Streit. Richtig. Aber am Ende des Tages muss dabei ein gemeinsames Vorgehen herauskommen. Und das haben wir in den vergangenen Monaten eben nicht geschafft. Wir müssen aber wieder zu dieser Gemeinsamkeit finden.

Angesichts der Diskussion, die nach der Wahl jetzt in der Union läuft, glauben Sie, dass sie das hinkriegen?

Weiss Ich glaube, dass das geht, weil es immer mal wieder Streit unter den Geschwisterparteien der Union gab. Dieser jetzt mag besonders sein, aber ich denke, mit Blick auf die Bundestagswahl wird am Ende des demokratischen Streits eine gemeinsame Linie stehen.

Sie waren zehn Jahre lang Bürgermeisterin in Dinslaken, einer Stadt mit langer Zuwanderungsgeschichte, die ganz gewiss noch lange nicht alle ihre Integrationsprobleme gelöst hat. Dennoch hat die Stadt im vergangenen Jahr eine Vielzahl von Geflüchteten aufgenommen, ohne dass es zu bemerkenswerten Protesten gekommen wäre. Mal ehrlich, wie ernst können Sie mit Ihrer Erfahrung als Bürgermeisterin die Ängste der AfD-Wähler wegen der Fremden in einem Flächenland wie Mecklenburg-Vorpommern nehmen angesichts der vergleichbar wenigen Flüchtlinge, die sich dort aufhalten?

Weiss Wenn ich nur auf Mecklenburg-Vorpommern gucke, dann muss ich in der Tat sagen, dass die Menschen dort nun wirklich kein Überfremdungsproblem haben. Deswegen hält sich mein Verständnis unter diesem Aspekt in Grenzen. Ich glaube aber, dass es eben nicht nur um die Flüchtlingsfrage geht, sondern dass ganz viele diffuse Ängste auf die Menschen einstürzen. Angst vor Veränderungen ganz allgemein, aber auch vor Überfremdung, weil die Menschen dort ja natürlich auch, um ein Beispiel zu nennen, die Berichte über die Kölner Silvesternacht gesehen haben und sagen: Das wollen wir bei uns so nicht haben. Mit diesen Menschen will ich gerne reden und sie bitten, doch noch einmal nachzudenken. Die Führungsspitze der AfD aber besteht für mich aus ganz gefährlichen Menschenfängern. Ich möchte das sehr differenzieren. Wenn ich beispielsweise im Fernsehen sehe, wie dort eine ältere Frau mit kleiner Rente, mit dem, was sie alles erlebt hat, erklärt, warum sie AfD wählt, dann schwingen doch sehr viele ganz diffuse Ängste mit. Wir müssen uns fragen, wo die herkommen. Für die aber, die wissen, was sie tun, habe ich keinerlei Verständnis.

Hat die etablierte Politik also nicht früh und genau genug hingesehen, so dass viele Menschen jetzt tatsächlich das Gefühl haben, abgehängt zu sein und dafür die Flüchtlinge zum Sündenbock machen.

Weiss Ich denke schon, dass es ein Stück zur Wahrheit gehört, dass sich Menschen von der Politik abgehängt fühlen. Das hat aber auch damit zu tun, dass wir es inzwischen gewohnt sind von der Politik immer Rundum-sorglos-Pakete geschnürt zu bekommen. Wir leben seit 71 Jahren in einem Europa des Friedens. Es gibt kaum noch jemanden, der den Krieg so richtig erlebt hat. Die meisten Menschen können sich gar nicht mehr vorstellen, wie es sich anfühlt, vor Bomben und Terror zu fliehen. Da ist es dann auf einmal ganz leicht, alle Flüchtlinge einfach in eine bestimmte Schublade zu stecken.

Muss Politik das aber nicht deutlicher kommunizieren?

Weiss Ich tue das in jeder Veranstaltung. Ich frage ganz oft in meinem Wahlkreis - der liegt bekanntlich am Niederrhein, wo es mehr Flüchtlinge gibt als in Mecklenburg-Vorpommern - hat einer von Ihnen heute schon einen Flüchtling gesehen. Ich erlebe es dann eher selten, dass sich einer meldet. Und wenn es jemand tut, ist meine zweite Frage: Ja und, war es schlimm? Und dann frage ich noch: Wem ist denn schon mal wegen der Flüchtlinge etwas weggenommen worden? Dann haben wir schon einmal eine ganz andere Gesprächsgrundlage. Ich nehme die Sorgen der Menschen schon sehr ernst, aber wir müssen nun einmal auch zur Kenntnis nehmen, dass wir in einer globalisierten Welt leben. Das können wir auch nicht zurückholen. Über 65 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Es gibt an über 20 Stellen auf diesem Globus Krieg. Wir leben in einem Land, das es wert ist, dass wir es verteidigen - und zwar in einem ursprünglich christlichen Sinne. Es gilt Menschenwürde und Nächstenliebe zu erhalten. Das dürfen wir uns nicht von irgendwelchen Rechtspopulisten kaputt reden lassen.

Welche Rolle wird Ihrer Meinung nach die AfD in Nordrhein-Westfalen spielen?

Weiss Ich glaube, dass sie nicht die Rolle spielen wird wie in Mecklenburg-Vorpommern. Wir dürfen Sie aber auch keinesfalls unterschätzen. In einigen Umfragen zur Landtagswahl liegt die AfD jetzt bei zwölf Prozent. Das muss nicht endgültig sein. Denn wer nach den Lösungsvorschlägen der AfD fragt, wird schnell feststellen, dass sie keine hat.

JÖRG WERNER FÜHRTE DAS GESPRÄCH

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort