Serie Lebenswege - Senioren Erzählen (1) Eine tapfere und starke Frau

Wesel · Unsere Journalistenschülerin Jana Bauch hat Weseler Senioren besucht, hat sie erzählen lassen und porträtiert. Was haben sie erlebt, wie ist es ihnen im Krieg ergangen und wie leben sie heute? Zum Auftakt die Geschichte von Erika Heldens (96).

 Erika Heldens ist 96 Jahre alt und hat im Leben einige Rückschläge erlitten, aber auch immer wieder Mut gefasst.

Erika Heldens ist 96 Jahre alt und hat im Leben einige Rückschläge erlitten, aber auch immer wieder Mut gefasst.

Foto: Jana Bauch

Wesel "Ich bin die Alte," sagt Erika Heldens bei der Begrüßung, und lacht. 96 Jahre ist sie alt und damit eine der ältesten Weselerinnen derzeit. Sie lebt seit eineinhalb Jahren im Pflegeheim St. Lukas - und auch, wenn sie aufgrund der körperlichen Beschwerden auf Hilfe angewiesen ist, wohnt in ihr ein wacher Geist.

Als wir bei der Familie anfragten, ob Erika Heldens als eine der ältesten Weselerinnen bereit für ein Interview wäre, hat die 96-Jährige sofort zugesagt - und gleich einen Frisörtermin ausgemacht. Sie will nachfolgenden Generationen von ihrem Leben erzählen, wie es im Krieg war, was er aus ihrem Leben gemacht hat, auch als Warnung.

Erika Heldens wird am 2. Juni 1921 in Wesel geboren und zieht während des Zweiten Weltkriegs wegen der Besatzung der Alliierten nach Dinslaken um. Sie erinnert sich noch an einen Bombenangriff, bei dem sie durch ein Kellerfenster fliehen musste, da es im Obergeschoss bei ihrem damaligen Arbeitgeber, dem Schuhladen Kutala, brannte. Der Krieg hat auch an ihr Spuren hinterlassen: Die gelernte Schneiderin wird in der Solinger Waffenproduktion zwangsverpflichtet und verliert dort an einer Maschine die oberen Glieder von Zeige- und Mittelfinger. Erika Heldens hat gelernt, damit zu leben.

Drei Jahre nach dem Krieg, 1948, lernt sie im Zug nach Dinslaken einen Mann kennen, der ihr gefällt. Ihren Helmut wird sie später heiraten. Auch sein Hab und Gut wird zerstört. Duisburg, seine Heimat, wird zerbombt. Gemeinsam machen sich beide auf, am Niederrhein ein neues Leben zu starten: "Damals bekam man 3000 Mark Lastenausgleich für die zerstörte Wohnung, um in ein neues Heim zu investieren." So zieht die Familie erst nach Spellen, dann schließlich nach Friedrichsfeld. Mit Helmut gemeinsam bekommt sie dort ein Kind. Klaus verstirbt im frühen Kindesalter, 1950 kommt ihr zweites Kind Helmut zur Welt. Glückliche Jahre folgen.

 Fotos sind kostbare Erinnerungen an vergangene Zeiten. Erika Heldens schätzt die Hilfe ihrer Familie sehr. Fotos sind kostbare Erinnerungen an vergangene Zeiten. Erika Heldens schätzt die Hilfe ihrer Familie sehr.

Fotos sind kostbare Erinnerungen an vergangene Zeiten. Erika Heldens schätzt die Hilfe ihrer Familie sehr. Fotos sind kostbare Erinnerungen an vergangene Zeiten. Erika Heldens schätzt die Hilfe ihrer Familie sehr.

Foto: Jana Bauch

2015 folgt die Einsicht, dass es im eigenen Heim nicht mehr geht. Der Einzug ins Altenheim ist sehr lange ein "rotes Tuch" für Erika Heldens, bis sie mit 95 Jahren nicht mehr selbst hochkommt und aus eigenem Willen im St. Lukas einzieht. Hier sei sie besser aufgehoben als allein zu Hause, wo sie noch bis dato selbstständig ihre Wäsche machte und kochte. Erika Heldens ist tapfer und stark: Auch im Altenheim versucht sie, weitgehend selbstständig zu leben. Wenn auch manchmal kleine Missgeschicke passieren: "Eines Morgens bin ich nicht aus dem Bett hochgekommen. Ich hatte meine Brille nicht auf und wollte das Bett aufrichten. So betätigte ich einfach alle Schalter in Reichweite: Hoch, runter, links, rechts, hoch. Als die Altenpfleger im Zimmer auftauchten, saß ich eingeklappt im Bett drin. Die erste, die lachte, war ich selbst. Lachen ist gesund!"

Am Liebsten verbringt Erika Heldens Zeit mit gutem Essen, sie hat immer gern gekocht. Fernsehen wird immer schwieriger; sie sieht und hört zunehmend schlechter. Gelegentlich spielt sie Mundharmonika. "Wenn genug Luft da ist. Aber nur leise, damit mich keiner hört, sonst möchten die direkt, dass ich allen etwas vorspiele." Die Betreuer seien fürsorglich, es gebe immer etwas zu tun. Nur der Kaffee schmeckt ihr nicht. "Der Kaffee hier ist auf alte Leute abgestimmt. Ich mag den Kaffee stark," sagt sie - und zeigt fröhlich auf ihre eigene Kaffeemaschine, ein Geschenk ihrer Familie. An Wesel liebt Erika besonders den Dom, den Rhein und die River Lady - obwohl sie Angst vor tiefem Wasser hat. "Wasser ist auch nass, das ist schlimm genug", scherzt Erika Heldens.

Und doch ist es eines der eindrucksvollsten Erlebnisse für Erika Heldens, als 1929 der Rhein zufriert. Die Kinder durften zuschauen, die Alten gingen über den Rhein. Doch das ist lange her, mittlerweile spürt Erika Helders ihr hohes Alter: "Die Zeit vergeht langsamer, man wartet und wartet, dass etwas passiert. Das Laufen will nicht mehr so. Laufen, laufen, laufen, ich vermisse Spaziergänge mit guten Freunden. Bis vor zwei Jahren haben wir immer noch ein Rollatortreffen auf dem Wochenmarkt gehabt."

Zwei- bis dreimal die Woche bekommt Erika Heldens Besuch von Sohn Helmut und seiner Frau Ina, auch Enkel und Urenkel schauen oft vorbei. "Erika ist fürsorglich und hat ihren eigenen Kopf, ist taff und ergreift schnell Initiative. Sie hat sogar ihr defektes Hörgerät repariert, indem sie den Schlauch eines Parfümflakons umfunktioniert und eingebaut hat," berichtet das Ehepaar belustigt. Schließlich wird auch die Welt kleiner - kleine Sachen werden groß. So ist dann zum Beispiel ein nicht funktionierender Kühlschrank bei starker Hitze die Wochenattraktion.

Erika schätzt ihre Familie sehr. Ob sie noch einmal etwas anders machen würde in ihrem Leben? Nein, sagte sie, zögert kurz und sagt dann: "Mehr Kinder hätte ich vielleicht gern gehabt."

(RP)
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