Wesel Eine Legende in Wesels Fußgängerzone

Wesel · Eigentlich wollte Hanne Henrichs 2007 das traditionsreiche Weseler Schreibwaren-Fachgeschäft Tönnes-Henrichs schließen. Doch es kam anders. Mittlerweile ist sie fast 80 und nach wie vor der gute Geist des 99 Jahre alten Ladens.

 Hanne Henrichs ist nach wie vor so fit, dass sie täglich schon um 7.30 Uhr ihr Fachgeschäft an der Brückstraße aufschließt.

Hanne Henrichs ist nach wie vor so fit, dass sie täglich schon um 7.30 Uhr ihr Fachgeschäft an der Brückstraße aufschließt.

Foto: Klaus Nikolei

Morgens um 7.30 Uhr, wenn in der Fußgängerzone höchstens die Mitarbeiter des ASG mit ihrer Kehrmaschine unterwegs sind, sonst aber alles ruhig ist, schließt Hanne Henrichs bereits ihren Laden an der Brückstraße auf. Meist sind Schüler ihre ersten Kunden. Wie schon Generationen vor ihnen, kommen sie vor Schulbeginn in den urigen schmalen Laden, um sich bei Hanne Henrichs das zu besorgen, was sie vielleicht vergessen haben: Patronen, Buntstifte, Hefte.

Vor 99 Jahren von Louis Tönnes gegründet, gehört Tönnes-Henrichs zu den traditionsreichen und zweifelsohne ältesten Einzelhandelsunternehmen der Einkaufsstadt. Ebenfalls eine Institution ist Hanne Henrichs. Seit nunmehr 40 Jahren steht sie Tag für Tag in dem Schreibwaren-Fachgeschäft mit dem eigentümlich gemütlichen Geruch. "Das ist das Papier, das so riecht", sagt Hanne Henrichs. Die vergleichsweise kleine Frau mit den lustig funkelnden Augen und dem modischen Haarschnitt ist mittlerweile auch schon fast 80. Doch sie wirkt locker zehn Jahren jünger. "Das sind die guten Gene. Und die Arbeit mit den Menschen verschiedener Generationen hält jung."

Vor gut elf Jahren hatte sie bereits mit dem Räumungsverkauf begonnen. Hanne Henrichs, nur einen Steinwurf von der Brückstraße an der Lomberstraße aufgewachsen, wollte Zeit für ihren Mann Heinz haben, mit dem sie 1978 das Geschäft von Helene Tönnes übernommen hatte. Schreiner Michael Biesemann, ein Freund von Heinz Henrichs, hatte dem Ehepaar das Angebot gemacht, weil seine unverheiratete Tante das Rentenalter erreicht hatte. Doch dann starb Heinz Henrichs - und Hanne Henrichs kehrte zurück an die Brückstraße. Das war 2007. "Ich bin so froh und dankbar, dass ich so gute Mitarbeiterinnen hatte und habe, die mir geholfen haben, den Laden so zu führen, dass er wieder das wurde, was er war: klein, liebevoll, kompetent und freundlich."

Vom Federmäppchen über anspruchsvolle Jahreskalender, Grußkarten, Kreuze, Rosenkränze, religiöse Literatur bis hin zu Krippen und Schnitzkunst aus dem Erzgebirge (im ersten Stock) gibt es bei ihr und ihrem fünfköpfigen Team fast alles. Die Ware lagert entweder offen in den Regalen oder in unzähligen, sorgfältig beschrifteten Schachteln und Schubladen. "Es herrscht bei uns ein kreatives Chaos. Aber es hat alles seinen Platz", sagt Hanne Henrichs, die schon ein wenig stolz darauf ist, dass es bei ihr 30 verschiedene Tauf-, Kommunions- und Konfirmationskerzen gibt. Ein Stück heile (Einkaufs-)Welt. Klar, dass in diesem Einkaufsbiotop alle Stammkunden mit Namen angersprochen werden und man sich auch über Neuigkeiten austauscht. "Aber wirklich gequatscht wird hier nicht", sagt Hanne Henrichs. Es sei vielmehr so, dass ihre Kundinnen - die Männer sind in der absoluten Minderheit - Basteltipps haben möchten. Meist für Gruß- und Einladungskarten,. "Beratung ist bei uns das A & O. Außerdem brauchen viele auch jemanden, der ihnen zuhört." Und so manche Stammkundin kommt fast täglich zu Tönnes-Henrichs.

Auf ein Datum oder auch nur auf ein Jahr, wann sie womöglich doch in den Ruhestand treten möchte, will sie sich nicht festlegen. "Es liegt an den Kunden. Wenn sie - trotz der spürbaren Konkurrenz durch das Internet - weiter zu uns kommen und uns die Treue halten, kann uns eigentlich nichts passieren."

Einen Luxus gönnt sich Hanne Henrichs übrigens jedes Jahr: zwei Studienreisen. Meist in Länder mit einer reichen, kulturgeschichtlichen Vergangenheit. Wenn man weiß, dass die gelernte Industriekauffrau ursprünglich gerne Archäologin geworden wäre, die Eltern aber das Schulgeld nicht zahlen konnten, kann man ihre ins Auge gefassten Wunschziele verstehen: Iran, Israel, Ägypten. Ist aber das Fernweh gestillt, ist Hanne Henrichs immer wieder froh, nach Hause zu kommen in ihr Wesel. Denn dort warten morgens schon die Schüler vor der Ladentür.

(RP)
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