Kreis Wesel Die SPD im schwarzen Loch

Kreis Wesel · Erstaunlich ruhig hier: Nach der Wahlschlappe im Land traf sich die Kreis-SPD in der Weseler Niederrheinhalle zum Parteitag. Von Aufarbeitung des Wahldesasters keine Spur - auch nicht von einem Versuch des Aufbruchs. Die SPD erweckt mitunter den Eindruck, chronisch an sich selbst zu leiden.

 Der SPD-Unterbezirksvorsitzende René Schneider (l.) mit dem Präsidium des Parteitags auf der großen Bühne der Niederrheinhalle.

Der SPD-Unterbezirksvorsitzende René Schneider (l.) mit dem Präsidium des Parteitags auf der großen Bühne der Niederrheinhalle.

Foto: sebastian peters

Vielleicht lag es an der Kulisse? Es gibt gewiss passendere Orte, um ein Gefühl des Aufbruchs nach einer krachenden Niederlage zu erzeugen. Die Weseler Niederrheinhalle ist ein Fünfziger-Jahre-Bau mit dem Charme einer maroden Tennishalle und sowieso viel zu groß für die Zahl an Sozialdemokraten, die sich da am Dienstagabend in Wesel versammelte. Es war die erste Zusammenkunft nach der Landtagswahl, die für die SPD schmerzlich verlaufen ist. 14.424 Wähler hat die SPD im Gesamtkreis im Vergleich zur Landtagswahl 2012 verloren. Das bedeutet einen Verlust von 9,8 Prozentpunkten. Es hätte also den Anlass zu Gesprächen gegeben - doch seltsamerweise wollte an diesem Abend kaum einer reden.

Im Vorfeld dieses Parteitages hatte die leise Hoffnung auch unter SPD-Größen vorgeherrscht, dass ein Signal des Aufbruchs von diesem Abend ausgehen könnte. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Siegmund Ehrmann etwa hatte in einem Facebook-Post auf der Zugfahrt von Berlin nach Wesel mitgeteilt, dass er gespannt sei, wie das Desaster des 14. Mai aufgearbeitet würde. Ehrmann kam zwar ein wenig zu spät zur Versammlung - doch verpasst hatte er bis dahin nichts. Und viel mehr passierte nach seiner Ankunft eigentlich auch nicht. Träge wirkte die Politikerversammlung an diesem warmen Tag im Mai.

Vielleicht sind solche Abende auf großer Parteitags-Bühne nicht geeignet, Klartext zu reden. Zu viele rivalisierende Lager, zu viel Öffentlichkeit. Und doch muss den Beobachter erstaunen, mit wie viel Routine die SPD mit dem Auf und Ab der vergangenen Monate umgeht. Wie eine chronisch an sich selbst leidende Partei wirkt sie manchmal. Stimmungshoch nach Schulz-Nominierung - und wenige Monate später schon im schwarzen Loch. Eine Kritik fand nicht statt. Die eigentliche Wahlanalyse, so erfuhr man, soll im Kreisparteirat vorgenommen werden, nicht in großer Runde.

Verloren auf der großen Bühne vor dunkler Wand wirkte an diesem Abend auch der Unterbezirksvorsitzende der Weseler SPD, René Schneider (40). Der Kamp-Lintforter ist eigentlich ein Freund klarer Worte. Nach der SPD-Wahlschlappe etwa hatte er - trotz des für ihn erneut gewonnenen Mandats - in seinem Internetblog einen Text verfasst, der für Wirbel nicht nur bei Sozialdemokraten gesorgt hat. Kernsatz: "Wir verstehen die Menschen nicht mehr." Schneider attestiert da eine zunehmende Distanzierung von Wähler und Politiker, die es zu überbrücken gelte. Abende wie der am Dienstag aber scheinen eher dazu geeignet, die Kluft wachsen zu lassen.

Seit zwei Jahren ist René Schneider Vorsitzender eines schwierigen Kreiskonstruktes - viele kleine Orts- und Stadtverbände, rivalisierende Interessen einer durch den Rhein getrennten Region. Schneiders Ansatz ist es deshalb, den Parteitag alternierend in einer der Städte abzuhalten. In acht von 13 Kommunen habe man schon getagt, vermeldete er stolz. Und die anderen Stadtverbände sollten schon mal die Getränke bereit halten. Schneider verbuchte in seiner Rede als Erfolg, dass die Zahl der Frauen in der Kreis-SPD steigt; 50 Prozent weibliche Genossen auf der Reserveliste. "Die SPD sollte weiblicher, jünger und mehr multikulti werden." Die für den Abend wichtigste Erkenntnis lieferte er aber fast beiläufig. Es ging da um die Digitalisierung in der Partei und um die Frage, ob man manche Beschlüsse auch ganz einfach online fassen könne. "Wir ersticken an Formalismen und inhaltsleeren Sitzungen", sagte Schneider. Wenn die SPD den Satz wörtlich genommen hätte, dann hätte sie die Tagesordnung eigentlich gleich ändern und endlich zu Inhalten vordringen müssen. Aber da sind ja die Parteitagsroutinen.

SPD-Landrat Ansgar Müller etwa übte sich im Beschimpfen des politischen Gegners und versuchte zu erklären, warum deren Sparvorschläge für den Kreishaushalt alle falsch sind. Und selbst, als es einmal positive Zahlen zu vermelden gab - auch die Kreis-SPD verbucht einen kleinen Mitgliederaufschwung durch den Schulz-Effekt -, da zeigte die Kassiererin zwar eine schnöde Balkengrafik, ohne aber erkennbar zu machen, wie hoch der Zuwachs in absoluten Zahlen ist. Fast sah es so aus, als wollte die SPD über diesen Zuwachs nicht zu intensiv reden, weil er bald schon wieder zunichte gemacht sein könnte.

René Schneider will sich dem Wähler annähern. Die SPD kann aber froh sein, dass an diesem Abend wohl kein Wahlvolk im Publikum saß. Es hätte den Eindruck einer Versammlung gewonnen, die nur um sich selbst kreist. Mit einer Tagesordnung so sexy wie bei der Jahreshauptversammlung der Kaninchenzüchter: Kassenbericht, Vorstandswahl und Berichte von den Arbeitsgruppen.

Als es zum ersten Mal das Angebot zur "Aussprache" gab, da stand nur ein älterer Mann mit Jeans auf, die er erkennbar in den Stunden zuvor wohl zur Gartenarbeit getragen hatte. Nun geht es los, dachte man sich als neutraler Betrachter. Dann fing der Xantener an mit der Klage darüber, dass er vor geraumer Zeit in Wesel eine Ausstellung gehabt habe und kaum einer seiner Genossen gekommen sei. Selbst da applaudierten noch einige Genossen. Tagesordnungspunkt "Aussprache" abgehakt.

Bei den Wahlen erreicht René Schneider schließlich 121 von 122 Stimmen. Zwei weitere Jahre führt er die SPD im Kreis. Das starke Ergebnis verschafft ihm Rückhalt für politische Ziele. Wer dem Abend beiwohnte, der meint ein dringliches Projekt erkannt zu haben.

Der neu gewählte geschäftsführende Kreisvorstand besteht nun neben Schneider aus der stellvertretenden Vorsitzenden Nadine Bogedain, Peter Paic, Gabriele Gerber-Weichelt und Thorsten Albrecht.

(RP)
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