Wesel Der Schornstein schluckt sich selbst

Wesel · Abrissarbeiten auf dem Pilkington-Gelände unweit der Rheins: Ein Symbol des Wirtschaftswunders und Wiederaufbaus verschwindet.

 Carsten Stegemann, Norbert Moschüring und Marco Heermann (v. l.) mit dem Plan für den Schornsteinabriss

Carsten Stegemann, Norbert Moschüring und Marco Heermann (v. l.) mit dem Plan für den Schornsteinabriss

Foto: Ekkehart Malz

Nachbarn liegen mit Feldstechern auf der Lauer, Spaziergänger recken sich die Hälse: Das unlängst auf dem Pilkington-Gelände begonnene Projekt Schornsteinabriss sorgt für Aufsehen. In 80 Meter Höhe sind die Vorbereitungen so gut wie gelaufen. Zwei Gerüste waren nötig. Eins sitzt jetzt ganz oben an der Spitze, das zweite darunter dient sozusagen als Auffangbecken. Falls doch mal ein Stein in die Tiefe rauscht. Denn planmäßig sollen die von Hand abgeschlagenen Ziegel innen zu Boden purzeln. So schluckt der Schornstein sich dann sozusagen selbst.

Aus der Ferne, so wie viele Weseler das weithin sichtbare Symbol des Wirtschaftswunders und Wiederaufbau über Jahrzehnte kennen, wirkt er rank und schlank. Beim Besuch auf der Baustelle unweit des Rheins relativiert sich dieser Eindruck. Meterdick ist der gemauerte Ring, er kann zweifelsohne mit den mächtigen Wänden der Kasematten in der Zitadelle mithalten. Sehen kann man das zum Beispiel an einem Loch in Bodennähe, aus dem peu à peu der von oben kommende Schutt entnommen werden soll. Etwa 1300 Tonnen sollen zusammenkommen. Also rund 50 Lkw-Ladungen.

Drei bis sechs Leute setzt die Heermann Abbruch GmbH aus Gescher im Kreis Borken ein. Chef Marco Heermann rechnet mit drei, eventuell vier Monaten, bis das Werk vollendet ist. Spektakulär dürfte die Demontage des signifikanten Wassertanks werden, der auf halber Höhe sitzt. Er war bis vor drei Jahren noch als Löschwasserreservoir für Brandschutz im Werk in Gebrauch. 200 Kubikmeter fasst der Behälter, erklärt Pilkington-Techniker Carsten Stegemann. Zum gegebenen Zeitpunkt wird er mit einem Kran abgehoben und am Boden zerlegt. Der Kran wird gleich genutzt, um einen Spezialbagger nach oben zu hieven, mit dem die weiteren Abrissarbeiten erledigt werden. Noch aber gehört der Schornstein zur städtischen Silhouette.

Am 15. April 1957 wurde das Weseler Zweigwerk der Deutschen Libbey-Owens-Gesellschaft für maschinelle Glasherstellung (Delog) in Betrieb genommen. Der Ende der 60er Jahre aufgestockte und mit dem Wasserbehälter ausgestattete Kamin stammt aus der Zeit, als in dem Werk noch Glas geschmolzen wurd. Er diente nur etwa 20 Jahre seiner ursprünglichen Bestimmung. Nach Stilllegung der Glaserzeugungsanlagen 1974 und 1975 wurde er für die zentrale Heizungsanlage eingesetzt. Nach Modernisierung der Technik wird er nicht mehr genutzt und wäre jetzt sanierungsbedürftig. So fiel aus Kosten- und Sicherheitsgründen die Entscheidung für den Abriss.

In der Spitze waren gut 2000 Menschen bei der Delog beschäftigt, die später mehrfach neue Eigentümer bekam und zerteilt wurde. Heute arbeiten noch rund 100 Leute bei der zur NSG Group gehörenden Pilkington Automotive Deutschland GmbH in Wesel. Sie veredeln Autoscheiben aus aller Welt. Zum Beispiel Dächer für Mercedes, Scheiben für VW und Jaguar. Wie Betriebsleiter Norbert Moschüring sagt, soll bald die Heckscheibe für den Ford Fiesta hinzukommen. Mit einer Jahresmenge von 320.000 Stück. Moschüring freut sich auf den Auftrag.

(RP)
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