Wesel Che Guevara wird zum Kabarettisten

Wesel · "Das Deutschland-Syndrom" ist das sechste Soloprogramm des preisgekrönten Kabarettisten Jens Neutag. Er gastierte damit im Weseler Bühnenhaus.

Mit einer Mischung aus politischem Kabarett und Beobachtungen deutscher Alltagsbefindlichkeiten hat Jens Neutag, Jahrgang 1972, einen eigenen Weg gefunden. Mit seinem sechsten, schon ein wenig betagten Soloprogramm begab sich der preisgekrönte Kabarettist und Autor am Montagabend auf der Hinterbühne des Weseler Bühnenhauses auf die Spur des "Deutschland-Syndroms".

In einem temporeichen Endlosstrom bewegte sich Jens Neutag auf mehreren inhaltlichen Ebenen, ging aber niemals unter die rhetorische Gürtellinie. Dass er von Thema zu Thema hüpfte, war gewöhnungsbedürftig. Im zweiten Teil des Abendprogramms wurde er schärfer, witziger. Starker Beifall und Zugabe.

Neutags verbaler Sprint macht es dem Zuschauer nicht so leicht, sich inhaltlich zu orientieren. In seinem Programm findet nicht nur die Politik ihren satirischen Platz, sondern ebenso SUV-fahrende Outlet-Shopper, der Geld verprasst, während er meint zu sparen, der koffeinbefeuerte Coffee-to-go-Trinker und junge Menschen mit plärrenden, absurd großen Kopfhörern. Dann wieder diagnostiziert er Angela Merkels berühmte "Rauten-Geste" als Teil einer öffentlichen Hypnosemethode. Sprachlich gekonnt folgt eine präzise Beobachtung auf die andere. Das ist genau, könnte aber mehr augenzwinkernde Leichtigkeit und hintergründigen Biss vertragen. Und weniger Sprunghaftigkeit wäre mehr gewesen.

Kabarettistische Strudel im Themenstrom sind Jens Neutags Rollenwechsel, hier überzeugt er, hier kann er mit unterschiedlichen Tonfällen spielen und hier holt er den meisten Beifall des Publikums.

Che Guevara rät den sicherheitsfixierten deutschen Menschen zu mehr Anarchie im Alltag, köstlich im Hispano-Dialekt eines immer im Recht befindlichen Ideologen. Auf dem letzten Loch pfeifend und mit Hustenanfällen eines Rauchers wie Altkanzler Helmut Schmidt, dass man ihm erlösend den Rücken klopfen will, macht Neutag den alten Basisgenossen, der die visionären Zeiten eines Willy Brandts heraufbeschwört. Wie ernüchternd ist dagegen die politische Realität.

Das siebte Soloprogramm von Jens Neutag ist in der Mache. Er wird es im Herbst vorstellen. Premiere ist im Düsseldorfer Kommödchen.

(thh)
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