Wesel Bilderbuchabriss eines Backsteinriesen

Wesel · Der Delog-Schornstein, einst als weithin sichtbares Symbol des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswunders ein Teil der Stadtsilhouette, ist Geschichte. Die Abbrucharbeiten auf dem Pilkington-Gelände blieben perfekt im Zeitplan.

 Ein Bagger knabbert die letzten Reste des Kamins klein. Anfang kommender Woche ist die Baustelle besenrein.

Ein Bagger knabbert die letzten Reste des Kamins klein. Anfang kommender Woche ist die Baustelle besenrein.

Foto: Ekkehart Malz

Zu sehen war er schon seit einiger Zeit nicht mehr. Büsche, Bäume und Gebäude verstellten den Blick auf die letzten Tage des Delog-Schornsteins. Jetzt ist er endgültig Geschichte. Waren vorher Spezialgeräte der Heermann Abbruch GmbH aus Gescher im Kreis Borken im Einsatz, so räumte am Mittwoch ein normaler Abrissbagger vom Boden aus die letzten noch stehenden Mauerreste ab. Anfang kommender Woche ist das Gelände besenrein.

Norbert Moschüring, Betriebsleiter der Pilkington Automotive Deutschland GmbH in Wesel, sieht es mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Zum einen ist ein Stück Weseler Industriegeschichte verschwunden. Mit seinen 80 Metern Höhe und dem markanten 200-Kubikmeter-Löschwassertank auf halber Höhe war der Backsteinriese einst ein weithin sichtbares Symbol des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswunders. Er gehörte zur Stadtsilhouette wie der Willibrordi-Dom, der Fernmeldeturm "Langer Heinrich" und der Pylon der neuen Niederrheinbrücke.

 Mitte Juni wurde der markante Wassertank abgetrennt.

Mitte Juni wurde der markante Wassertank abgetrennt.

Foto: Malz Ekkehart

Zum anderen waren die Tage des Schonsteins längst gezählt. 1957 war das Weseler Zweigwerk der Deutschen Libbey-Owens-Gesellschaft für maschinelle Glasherstellung (Delog) in Betrieb genommen worden. Der Ende der 60er Jahre aufgestockte und mit besagtem Wasserbehälter ausgestattete Kamin stammt aus der Zeit, als in dem Werk noch Glas geschmolzen wurde. Er diente nur etwa 20 Jahre seiner ursprünglichen Bestimmung. Nach Stilllegung der Glaserzeugungsanlagen 1974 und 1975 wurde er für die zentrale Heizungsanlage eingesetzt. Nach Modernisierung der Technik ist er nicht mehr genutzt worden und war nun sanierungsbedürftig geworden. Wie Norbert Moschüring im RP-Gespräch sagt, hätten "drei markante Punkte" den Ausschlag für den Abbruch gegeben: Der Blitzschutz und der Aufstieg hätten erneuert werden müssen. Außerdem wäre das Mauerwerk neu zu verfugen gewesen. Unterm Strich und mit Blick auf Folgekosten zu teuer. Der Abriss des Schornsteins begann bekanntlich Anfang April und erlebte Mitte Juni einen Meilenstein mit der Demontage des Wassertanks (RP berichtete). Anschließend fraß sich ein Spezialbagger, auf dem Steinkranz stehend, spektakulär und flott in die Tiefe. Moschüring spricht von einer Punktlandung. Die Arbeiten blieben exakt im geplanten Rahmen. Und es gab auch keine Unfälle. "Ein Bilderbuchabriss", sagt der Betriebsleiter. Gut 1300 Tonnen Schutt sind nach und nach abgefahren worden.

 So kannte man den Blick aus der Aue auf den Dom und den Delog-Kamin.

So kannte man den Blick aus der Aue auf den Dom und den Delog-Kamin.

Foto: Malz

Für die Arbeit im Weseler Pilkingtonwerk, das Autoscheiben aus aller Welt veredelt, wird der Schornstein nicht mehr gebraucht. Hier beginnen für die rund 100 Mitarbeiter im August die Vorbereitungen für den nächsten Großauftrag. Denn ab Januar ist die Heckscheibe für den Fiesta im Programm. 320.000 Stück sollen das Werk pro Jahr durchlaufen. Mindestens. Denn laut Moschüring hat Ford in der letzten Zeit nachgefragt, ob es auch mehr sein können.

(RP)
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