Kreis Wesel/Berlin Berlin - immer eine politische Reise wert

Kreis Wesel/Berlin · Eine Gruppe aus dem Kreis Wesel war jüngst auf politischer Tour in Berlin. Einladungen von Abgeordneten wie Sabine Weiss (CDU) oder Ulrich Krüger (SPD) werden immer beliebter. So lässt sich der Kontakt zum Wahlkreis halten.

Es klingt fast zu abgedroschen, aber am Ende waren sich alle Teilnehmer aus Wesel, Moers und Umgebung sowie Dinslaken einig: "Berlin ist eine Reise wert." Was das Highlight war - die Privatführung durchs Bundeskanzleramt, die Stadttouren mit der witzigsten Führerin der Hauptstadt oder der Besuch im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen - wird jeder aus der knapp 50-köpfigen Gruppe der Kreishandwerkerschaft und der Kolpingfamilie Wesel selbst beurteilen. Auf die Summe kommt's an, und die ist im Plus nach vier Tagen auf politischer Erkundungstour auf Einladung der hiesigen Bundestagsabgeordneten Sabine Weiss.

"Berlinfahrt für politisch interessierte Bürgerinnen und Bürger" heißt korrekt, was im Namen von Abgeordneten wie Sabine Weiss (CDU) oder Ulrich Krüger (SPD) veranstaltet wird, um das politische Berlin nahezubringen. Wer mitfährt, wird mit einem straffen Programm versorgt: die Spreeschifffahrt, die Stadtrundfahrten, nicht mit dem Sightseeing-Bus mit offenem Oberdeck oder der legendären Buslinie 100, die heute M 19 beziehungsweise. M 29 heißt, sondern mit dem niederrheinischen Reisebus. Fahrer Hajo lotst uns in ungewöhnliche Ecken der 3,4-Millionen-Stadt, die schnell wächst. Er kennt sich aus, und Hannelore Löll von der CDU-Kreisgeschäftsstelle, Begleiterin der Gruppe, lobt ihn.

Politisch öffnet sie Türen, denn darum geht's jenseits touristischer Abwechslung. Das Programm sieht Besichtigungen und Gespräche vor. Die Fülle der Informationen ist enorm. Und manchmal auch von Entsetzen begleitet. In Hohenschönhausen erzählt Edda Schönherz, erst in der DDR begehrte Fernsehmoderatorin, dann vom Staat kaltgestellt und von der Stasi drangsalierte Ausreisewillige, von ihrer Haft. 24 Frauen in einer Zelle, aufgeteilt auf Drei-Stock-Betten, eine Toilette, drei Waschgelegenheiten. Sie verkündet bis heute ihre Botschaft von perfiden Methoden und einem unmenschlichen Regime, dessen Stasi-Akteure unbestraft blieben. Nach der Ausreise mit ihren zwei Kindern 1979 wurde sie Moderatorin beim Bayrischen Fernsehen, seit 2003 ist sie "Zeitzeugenreferentin".

Kontrastprogramm dazu ist der Besuch im heutigen Zentrum der Macht. Im Bundeskanzleramt gibt es eine Privatführung. Manch einer linst ins obere Stockwerk, in Kanzlerin Merkels Büro ist zwar Licht, zu sehen ist sie nicht. Gleich komme Frankreichs Präsident Hollande, heißt es. Das Muss für Touris im Reichstagsgebäude gehört dazu, mal zügig die Bundestagskuppel hoch, ein erst routinierter, dann nach niederrheinischen Zwischenrufen munter gewürzter Vortrag auf den Besucherbänken des Plenarsaals und mit Blick auf die "fette Henne", sprich Bundesadler, ein Gang durchs Gebäude. Ein paar Meter weiter, in der Kleiststraße, wird über Sozial- und Arbeitspolitik referiert. Die Handwerker aus dem Kreis sprechen Ausbildung und Mindestlohn an, andere die Rente mit 63.

Das gilt ebenso beim Treffen im Paul-Löbe-Haus mit Sabine Weiss. Locker und sympathisch berichtet sie von der Arbeit. Sie ist Vize-Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion und damit in ihrer zweiten Legislaturperiode weit gekommen. Entwicklungs-, Sozial- und Arbeitspolitik sind ihre Felder, mit Ministerin Andrea Nahles von der SPD hat sie viel zu tun. "Mit ihr kann man Tacheles reden und zu Lösungen kommen", sagt sie. Weiteres Thema: die Griechenland-Krise. Sie habe für die Finanzhilfe gestimmt und sich "auf die große Kompetenz des Finanzministers verlassen". Im kleinen Kreis des Fraktionsvorstandes habe sie Schäuble überzeugend erlebt. Doch ihr Votum macht ihr zu schaffen, erboste Anrufer schimpfen.

Beherrschend: das Flüchtlingsthema. "Die Verfolgten, die zu uns kommen, müssen wir begrüßen, sie brauchen Rettung aus der Not", sagt sie. Die, die nicht politisch verfolgt werden, müssten zurück, wobei die Juristin bei schnelleren Verfahren Skepsis wegen des bestehenden Rechtsweges hat. "Brennende Flüchtlingsheime - da müssen wir uns schämen. Ich bitte alle hier, dagegenzuhalten, wenn es um Rassismus geht", fordert Weiss. Ein wenig verzweifelt sie aber an der bundesdeutschen Realität: "Wir brauchen Unterkünfte, wieso stehen Kasernen leer, wieso gibt es baurechtliche Hindernisse, wieso stellen wir lieber Zelte auf?" Auf europäischer Ebene baut sie auf Merkels Durchsetzungsvermögen. Überhaupt, die Kanzlerin. Die Abgeordnete bescheinigt ihr "eine unglaubliche Leistung, sie arbeitet sehr früh, sie ist immer in den Themen drin, und deren Fülle ist gewaltig."

Noch ein Foto und eine Verabschiedung, dann eilt die frühere Dinslakener Bürgermeisterin und Abgeordnete durch die Katakomben unter dem Reichstag, um zu ihrem Büro zu kommen. In einem Büro stehen Wickeltisch und Babywippe. "Eine Mitarbeiterin kommt aus dem Mutterschutz zurück, sie bringt ihr Kind mit an den Arbeitsplatz. Das befürworte ich", sagt die 57-Jährige. Ein Kreuz hängt an der Wand. "Aus Überzeugung." Vor dem Beginn der Sitzungswochen ist es ruhig, der Blick geht in den Wahlkreis.

Nach einer Nacht in ihrer Wohnung nahe der Charité reist sie nach Hamminkeln. Sie ist so oft wie möglich im Wahlkreis und längst gen Niederrhein gejettet, als sich die Reisegruppe noch Berlin anschaut.

(RP)
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