Interview mit Rainer Bleek Das Sozialamt wird wieder eigenständig

Wermelskirchen · Der Bürgermeister im Gespräch über seinen neuen Job, Flüchtlinge und den Bauhof Sonne als Feuerwehrstandort sowie Pläne für 2016.

 Wermelskirchens Bürgermeister Rainer Bleek.

Wermelskirchens Bürgermeister Rainer Bleek.

Foto: Jürgen Moll

Herr Bleek, wie war das Jahr 2015 für Sie persönlich?

Bleek Es war ein anstrengendes, hektisches aber auch ein fantastisches Jahr. Ich durfte noch einmal eine neue berufliche Herausforderung annehmen, konnte mit der Wahl zum Bürgermeister mein Hobby zum Beruf machen. Ich bin sehr glücklich.

Hätten Sie Anfang 2015 gedacht, dass das Jahr so für Sie enden würde?

Bleek Auf keinen Fall. Anfang des Jahres hätte ich nie im Traum daran gedacht, für die Bürgermeisterwahl zu kandidieren. Das hat sich im März/April so entwickelt. Ich konnte auch nicht damit rechnen, die Wahl zu gewinnen. Die Zuversicht stieg im Laufe des Wahlkampfs aber immer mehr.

Wann haben Sie realisiert, dass Sie der neue Bürgermeister sind?

Bleek Manchmal fühlt sich das immer noch nicht real an, obwohl ich die Arbeit bereits seit Ende Oktober jeden Tag erlebe. Bei der Personalversammlung kurz vor Weihnachten habe ich im Ratssaal alle knapp 400 Mitarbeiter direkt gesehen. Da habe ich hautnah erlebt, welche Verantwortung ein Bürgermeister trägt.

Wie gut sind Sie im neuen Job angekommen?

Bleek Ich denke, dass ich gut angekommen bin. Sicherlich hat mir geholfen, dass ich Verwaltungsarbeit seit 30 Jahren kenne. Wenn ein Bürgermeister aus der Wirtschaft kommt, ist der Start viel schwieriger. Mir hat zudem enorm geholfen, dass ich die politischen Strukturen und viele handelnde Personen in Wermelskirchen durch meine politische Tätigkeit bereits seit Jahren kenne. Das erleichtert die tägliche Arbeit sehr.

Welche Überraschungen gab es zum Start?

Bleek Über manche Strukturen innerhalb der Verwaltung war ich überrascht. Mich hat gewundert, dass der Bereich Controlling aus meiner Sicht noch nicht richtig etabliert wurde — da müssen wir ansetzen. Und es kommen einige Probleme auf, mit denen man nicht gerechnet hat. Damit werde ich dann konfrontiert.

Zum Beispiel?

Bleek Sicherlich zunächst die Situation in den Flüchtlingsunterkünften. Wie ist zu verfahren, wenn dort medizinische Auffälligkeiten festgestellt werden, wie ist die medizinische Versorgung? Ich musste mir erst einmal einen Überblick verschaffen. Auch das Thema Brandschutzbedarfsplan hat mich viel Zeit gekostet, und organisatorische Dinge, die innerhalb der Verwaltung gelöst werden müssen. Insgesamt stimmen die Strukturen aber.

Wie möchten Sie die Außendarstellung der Verwaltung verbessern?

Bleek Ein erster Schritt war die Ernennung eines Pressesprechers. Das Meinungsbild der Verwaltung soll koordiniert an die Öffentlichkeit gelangen — ich möchte aber auch, dass wir mehr aktive Pressearbeit leisten. Im Rathaus laufen viele gute, innovative Dinge und Projekte, von denen die Bürger nichts mitbekommen. Das muss besser nach außen kommuniziert werden. Es soll bei den Bürgern nicht der Eindruck entstehen, dass im Rathaus nur verknöcherte Bürokraten sitzen und ihren Job machen.

Wie gut oder wie schlecht geht es Wermelskirchen aktuell?

Bleek Uns als Stadt geht es zurzeit noch vergleichsweise gut. Wir sind eine abundante Kommune, das bedeutet, bei den wirtschaftlichen Kennzahlen stehen andere Städte deutlich schlechter dar. Wir müssen zwar in diesem Jahr Steuern erhöhen und haben ein Defizit von 9,2 Millionen Euro im Haushaltsentwurf, aber im Vergleich zu benachbarten Städten geht es uns noch besser.

Wie gut sehen Sie die Verwaltung aufgestellt?

Bleek Größtenteils gut. In manchen Bereichen ist die untere Grenze aber erreicht, da ist kein Wasser mehr unterm Kiel. Dort müssen wir nachbessern — zum einen personell, etwa im Bereich Controlling der Kämmerei. Aber auch strukturell, zum Beispiel im Amt für Jugend, Bildung und Soziales.

Was wollen Sie in dem Amt ändern?

Bleek Ich werde das Sozialamt wieder als eigenständiges Amt etablieren. In einem Organisationsgutachten soll zeitnah dargelegt werden, wie wir es hinkriegen können, die zentralen Aufgabenbereiche, die im Moment nicht adäquat abgebildet werden, besser abzudecken. Ein Beispiel dafür ist das Thema Inklusion. Es gibt einen Ausschuss für Soziales und Inklusion, aber das Thema Inklusion findet sich in der Verwaltungsorganisation gar nicht wieder. Gleiches gilt auch für die stark gewachsenen Aufgaben bei der Flüchtlingsbetreuung.

Gibt es weitere Themen?

Bleek Auch den demografischen Wandel — wie versorgen wir die Ortschaften, wie sind die Einkaufsversorgung und die medizinische Versorgung künftig zu gewährleisten? — müssen wir aufgreifen. Und wir müssen uns auf eine wachsende Bedeutung der Pflege einstellen. Die Zahl der Bedürftigen wird steigen. Außerdem besteht im Bereich Quartiersentwicklung Handlungsbedarf.

Und das alles funktioniert nur, wenn das Sozialamt eigenständig ist?

Bleek Das ginge sicherlich auch anders. Mir ist aber wichtig, Verantwortlichkeiten in der Verwaltung richtig abzubilden. Das bestehende Amt ist zu groß, auch wenn es mit Barbara Frank und Andreas Voß eine gut funktionierende Doppelspitze gibt. Ich finde, ein Sozialamt hat so ein großes Gewicht in der Stadtverwaltung, dass es wieder eigenständig etabliert werden sollte.

Welche Themen werden das Jahr 2016 prägen?

Bleek Die dauerhafte Unterbringung der Flüchtlinge wird das zentrale Thema in diesem Jahr sein. Wir müssen viele Ressourcen einsetzen. Ein Problem bei der Bewältigung wird sicherlich die Zeitschiene. Stand jetzt haben wir ab Ende Februar keine Erstaufnahmeeinrichtungen mehr, dann kommen aber zunehmend dauerhafte Zuweisungen von Flüchtlingen. Womöglich können wir die zugewiesenen Flüchtlinge für eine Übergangszeit in den Hallen unterbringen — das ist aber auf keinen Fall eine Dauerlösung, es wäre eine Notlösung. Wir prüfen fast 60 Standorte für die Unterbringung und schauen, wo wir schnell etwas umsetzen können. Der Bau von festen Häuserkomplexen dauert fast eineinhalb Jahre, sogenannte Container könnten vielleicht in fünf, sechs Monaten errichtet werden. Fakt ist aber: Es weiß zurzeit niemand, ob die prognostizierten Zahlen der zugewiesenen Flüchtlinge tatsächlich so eintreffen werden.

Wie sieht es mit der Finanzierung aus?

Bleek Die Finanzierung ist im Haushalt gesichert. Es gibt fest zugesagte Zuschüsse durch das Land: 10.000 Euro pro Flüchtling pro Jahr. Wir müssen sehen, was wir uns für diese Pauschale erlauben können — für die Unterbringung, Betreuung und Verpflegung dieser Menschen. Wir gehen davon aus, dass die finanziellen Mittel reichen.

Wann werden die Sporthallen wieder freigegeben?

Bleek Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich kein genaues Datum nennen. Unser Ziel — und dieses Signal möchte ich den Bürgern noch einmal auf den Weg geben — ist klar: Wir möchten die Sporthallen so schnell wie möglich wieder für die normale Nutzung freigeben. Das hängt aber davon ab, wie schnell wir alternative Lösungen wir die Unterbringung finden und auch umsetzen können. Wir haben dazu viele Ideen, die zurzeit noch geprüft werden.

Auch mit der Eigentümergemeinschaft des Rhombus-Geländes gibt es Gespräche.

Bleek Das ist richtig. Wir haben an einem Tisch gesessen und verschiedene Möglichkeiten eruiert. Es gibt auch noch andere Interessenten für die Rhombus-Flächen. Wir bilden uns zurzeit eine Meinung, ob wir auf das Gelände zurückgreifen wollen und — wenn ja — auf welche Teile. Es gibt aber auch gute Gespräche mit dem gemeinnützigen Bauverein, zudem haben sich andere Investoren bei uns gemeldet. Wir müssen abwarten und schauen, was die besten Lösungen sein werden.

Wird das Thema Flüchtlinge in diesem Jahr alles überlagern?

Bleek Das darf es auf keinen Fall. Auch andere Themen müssen Relevanz haben. Womöglich können wir sie nicht in der Schnelligkeit bedienen, wie wir das selbst erhoffen, weil es bei der Unterbringung der Flüchtlinge um existenzielle Bedürfnisse geht. Fakt ist aber: Wir dürfen nicht vernachlässigen, dass auch andere Gruppen Rechte haben. Das Thema sozialer Wohnungsbau betrifft zum Beispiel nicht nur Flüchtlinge, sondern auch viele andere Menschen in Wermelskirchen. Und auch um diese Menschen müssen wir uns kümmern.

Die Bürger hoffen, dass die Pläne für andere große Projekte nicht in der Schublade verschwinden.

Bleek Das sehe ich genauso. Auch andere Themen werden mit hoher Priorität vorangetrieben. Beispiel Loches-Platz: Zurzeit erfolgt die nähere Bewertung der Entwürfe. Am 5. Januar gibt es ein Treffen mit Vertretern der Fraktionen, bei dem wir die Entwürfe noch einmal vorstellen und für Fragen zur Verfügung stehen. Das Auswahlverfahren soll zeitnah politisch abgearbeitet werden.

Wie sieht es mit dem Brandschutzbedarfsplan aus?

Bleek Auch dieses Thema ist in der Mache. Die Stellenausschreibung für zusätzliches Personal der Feuerwehr ist erfolgt. Wir werden 14 neue Rettungsdienstassistenten in 2016 einstellen. In diesem Zusammenhang muss aber die Feuerwache Vorm Eickerberg umgebaut und erweitert werden. Dort muss das Dachgeschoss ausgebaut werden, um Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen.

Und parallel dazu laufen die Planungen für eine zweite Wache in Dabringhausen?

Bleek Genau. Die Gerätehäuser in Kreckersweg und an der Altenberger Straße sind nicht mehr zeitgemäß. Zurzeit sind wir noch auf der Suche nach einem geeigneten Grundstück und beschäftigen uns mit der Frage, wie das Vorhaben wirtschaftlich darstellbar ist, das heißt, ob wir freiwillige und hauptamtliche Kräfte in einem Haus unterbringen oder womöglich den Bauhof Sonne mit einbeziehen.

Viele Vereine und auch die Politik beschäftigt das Thema Kunstrasen.

Bleek Wir warten zurzeit auf das Gutachten. Wenn das vorliegt, werden wir mit der Politik überlegen, welcher Standort letztlich infrage kommt. Das Thema erhält natürlich einen andere Relevanz, wenn tatsächlich der Sportplatz Tente wegen der Unterbringung von Flüchtlingen nicht mehr genutzt werden kann.

Und auch das Hallenbad steht auf der Liste der "Baustellen"...

Bleek Auch an diesem Thema werden wir dranbleiben. Wir müssen uns auf alle Eventualitäten vorbereiten. Die Finanzierung ist aber ein Problem, ich wage noch keine Prognose.

Sie haben angekündigt, dass Ihnen Bürgernähe wichtig ist und sie sich um die Anliegen der Menschen kümmern werden. Ist das zeitlich überhaupt immer möglich?

Bleek Ich höre mir alle Anliegen an, gebe sie an die Mitarbeiter weiter und halte Rücksprachen. Ich muss aber zu den einzelnen Anfragen immer beide Seiten hören und dann schauen, ob und wie wir helfen können. Meine Bürgersprechstunde war zuletzt bereits ausgebucht, andere Bürger schreiben mir Briefe mit ihren Anliegen. Ich versichere ihnen, dass sie von der Verwaltung eine Rückmeldung zu ihrer Anfrage erhalten.

Wie ist Ihre Leitlinie im Umgang mit den städtischen Mitarbeitern? Worauf legen Sie Wert?

Bleek Mir ist ein kollegiales Miteinander wichtig. Man muss sich nicht immer mögen, aber trotzdem gut und professionell zusammenarbeiten. Ich will motivierte und qualifizierte Leute im Team haben, das Thema Fortbildungen spielt daher eine große Rolle. Ich habe aber auch gewisse Ansprüche an meine Mitarbeiter.

Was können Sie nicht leiden?

Bleek Ich mag kein "telefonisches Niemandsland" — wenn ich hinter Amtsleitern hertelefonieren muss und mein Anruf im Nirgendwo verhallt, kann ich ungemütlich werden. Ich bin auf die Zuarbeit der Kollegen angewiesen, daher mag ich es nicht, wenn ich keine belastbaren Auskünfte zu bestimmten Themen erhalte, wenn Arbeitsergebnisse schludrig zusammengefasst werden oder wenn ich nicht ausreichend über Sachverhalte informiert werde. Der Bürger ist unser Auftraggeber, für ihn arbeiten wir. Das muss sich in den Köpfen der Mitarbeiter festsetzen.

Wie werden Sie mit den Fraktionen zusammenarbeiten?

Bleek Mein Vorteil ist, dass ich viele Politiker schon sehr gut kenne. Ich habe den Informationsaustausch zu den Fraktionsvorsitzenden intensiviert und informiere sie über Themen, die noch intern diskutiert werden, aber womöglich bald von größerem öffentlichen Interesse sein könnten. Ich will die Politik rechtzeitig über neue Entwicklungen in Kenntnis setzen. Es soll ein fairer und vernünftiger Umgang sein.

Hat sich das Verhältnis zu den Politikern, die Sie seit Jahren kennen, durch Ihren neuen Job verändert?

Bleek Ich denke nicht. Ich bin geerdet und wüsste nicht, warum ich zu neuen Umgangsweisen kommen sollte. Ich verwende schon mal gerne zugespitzte Formulierungen oder provoziere auch mal ein wenig, aber alles auf eine lockere Art. Und damit können die meisten Politiker auch umgehen. Man muss sich auch mal mit einem flapsigen Spruch foppen, das macht die Politik doch menschlich. Und das werde ich auch als Bürgermeister nicht ändern.

Können Sie als Bürgermeister eigentlich zwischen Beruf und Privatleben trennen?

Bleek Ich kann nach Feierabend gut abschalten. Natürlich muss ich mich auch auf viele Termine am Wochenende einstellen, aber den Cut schaffe ich sehr gut. Es ist zwar anders, jetzt als Bürgermeister durch die Stadt zu gehen. Aber wenn ich nicht im Dienst bin, rückt die Arbeit in den Hintergrund.

Was soll für Sie das Highlight 2016 werden?

Bleek Ich möchte im nächsten Jahr mit meiner Lebensgefährtin zusammenziehen. Die Umbauten im Haus sind weitgehend erfolgt.

Und was wird das Highlight für den Bürgermeister Rainer Bleek?

Bleek Ich hoffe, dass ich Ende des Jahres sagen kann, dass wir die Unterbringung der Flüchtlinge als Verwaltung gut gelöst haben. Und ich hoffe, dass wir dann auch eine gute Lösung für die Entwicklung des Loches-Platzes gefunden haben.

SEBASTIAN RADERMACHER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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