Jaqueline Herzog "Mein Job ist, Integrationsarbeit zu leisten"

Wermelskirchen · Die Leiterin der Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge spricht über ihre Aufgabe, das Engagement der Wermelskirchener und ihr Verhältnis zu den wildfremden Menschen. Die persönlichen Schicksale lassen sie nicht kalt.

 Jaqueline Herzog leitet die Erstaufnahmeeinrichtungen in Dabringhausen und an der Schubertstraße.

Jaqueline Herzog leitet die Erstaufnahmeeinrichtungen in Dabringhausen und an der Schubertstraße.

Foto: Jürgen Moll

WERMELSKIRCHEN Jaqueline Herzog leitet für das Deutsche Rote Kreuz (DRK) die Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge in Dabringhausen und an der Schubertstraße. Die 38-Jährige hat sich einen sensiblen Job aufgebürdet, für den es vorher keine Stellenbeschreibung, keine Ausbildung, keine Erfahrungswerte und kein Patentrezept gab. Improvisationstalent, Gemütsruhe und starke Nerven, Einfühlungsvermögen und Durchsetzungsstärke sowie ihre Erfahrung im Rettungsdienst sind einige der Eigenschaften, die Jaqueline Herzog diese Aufgabe meistern lassen. An einem Tag vergeht kaum eine Minute, ohne dass ihr Diensthandy klingelt, dass es an der Tür klopft oder sie um Rat gefragt wird.

Frau Herzog, wie sind Sie und Ihr Team personell aufgestellt?

Herzog Wir arbeiten in drei Schichten rund um die Uhr mit jeweils zwei Personen des DRK zur Betreuung der Flüchtlinge. Das ist in der Mehrzweckhalle und in den Schuberthallen so. Da es überall eng ist, sucht das DRK qualifizierte Kräfte und stellt ein. Hinzu kommen Dolmetscher, Küchenkräfte und freiwillige Helfer. Wir brauchen zum Beispiel in der Mehrzweckhalle drei Kräfte pro Schicht, um den Küchenbetrieb zu gewährleisten. Außerdem ist eine externe Sicherheitsfirma vor Ort: in Dabringhausen mit drei Personen, an der Schubertstraße mit vier Personen, weil es dort deutlich verwinkelter und unübersichtlicher ist.

Wie lange ist Ihr Arbeitstag?

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Herzog Eine Schicht hat übliche acht Stunden. Die Arbeitstage bringen aber eigentlich immer Überstunden mit sich, gerade jetzt nach einer Neuaufnahme von Menschen.

Gibt es Probleme - Stichwort Lagerkoller - oder Aggressivität?

Herzog Nein, das geht. Die Angebote, zum Beispiel Fußball spielen oder gemeinsames Kochen, wirken gegen den Lagerkoller. Auch die Deutschkurse werden sehr rege angenommen. Sicherlich haben wir in der Halle die eine oder andere Streiterei, da wird sich auch mal angebrüllt - wie eben überall, wo mehr als 100 Menschen zusammen sind. Wir greifen dann deeskalierend ein.

Werden Sie mit Problemen wie Pöbeleien oder Ähnlichem außerhalb der Einrichtung konfrontiert?

Herzog Das ist totaler Quatsch, das stimmt nicht! Ich mache mir keine Sorgen - und es braucht sich auch sonst niemand Sorgen machen.

Wie bewerten Sie das Engagement der Bevölkerung?

Herzog Ohne diese freiwilligen Helfer und Spenden ginge es gar nicht. Nach der Ankunft neuer Flüchtlinge in Dabringhausen benötigen wir aktuell dringend Kleidung in den Größen S und M. An der Schubertstraße können wir auch noch freiwillige Helfer gebrauchen. Dabringhausen ist vorbildlich, was den Einsatz der Bürger angeht.

Sie haben inzwischen in Dabringhausen erlebt, dass Flüchtlinge ankamen und dann nach ihrer Erstregistrierung die Halle verlassen mussten und neue Flüchtlinge kamen. Wie erleben Sie diesen Wechsel?

Herzog Mitarbeiter und Helfer haben inzwischen Strukturen geschaffen, die sich auch auf die Schuberthallen übertragen lassen. Neu eingetroffene Flüchtlinge müssen sich aber natürlich immer wieder an diese Strukturen gewöhnen. Dadurch sind die ersten fünf, sechs Tage nach der Ankunft besonders intensiv.

Das lässt doch niemanden kalt, oder?

Herzog Bei aller professionellen Distanz, die wir versuchen zu wahren, natürlich nicht. Der Abschied von den Flüchtlingen, die im September angekommen waren und dann in die Schuberthallen verlegt wurden, war nicht einfach. Gerade Kindern lässt sich das kaum erklären. Ein fünfjähriges Mädchen hatte so leere Augen, wie ich sie noch nie gesehen habe. Ein anderes weinte derart bitterlich, weil es nicht schon wieder in einen Bus wollte, dass es sich nicht einmal von der Mutter beruhigen ließ. Ich habe es dann auf den Arm genommen und spontan ein Lied vorgesungen - dann ging es etwas besser.

Wie gehen Sie mit diesen verschiedenen Schicksalen um?

Herzog Es ist stellenweise sehr schwierig. Ich lerne hier Kinder kennen, die keine Bleibeperspektive haben, weil sie aus sogenannten sicheren Herkunftsländern kommen - wir haben hier ein fünf Monate altes Baby, ein echter Sonnenschein, mit seinen Eltern. Für mich ist klar, dass die Eltern ihren Grund haben werden, wenn sie versuchen, hierher zu kommen. Mein Job ist es nicht, die Menschen zu desillusionieren, sondern Menschlichkeit zu leben und Integrationsarbeit zu leisten. Da gibt es viele unmenschliche Dinge, die da passieren.

Wie gehen Sie persönlich mit ihrer Aufgabe um?

Herzog Durch meine langjährige Arbeit im Rettungsdienst habe ich mir Mechanismen angeeignet, dass mir Dinge nicht über die Bettdecke laufen. Und auch wenn ich weiß, dass die Politik etwas tun muss, weil es so nicht weitergehen kann, dünnt mein Job zurzeit meinen Bekanntenkreis aus: Da kommt das Flüchtlingsthema immer wieder zur Sprache. Da gibt es bösartige Äußerungen, die ich in meinem Umfeld nicht möchte. Pauschalisierungen will ich nicht hören.

Wie verschaffen Sie sich einen Ausgleich?

Herzog Meine Hobbys und mein Privatleben kommen im Moment deutlich zu kurz. Mir hilft es in dieser Zeit, mir Dinge von der Seele zu schreiben. Außerdem hilft manchmal auch Weinen - Tränen sind gut, sie befreien.

(RP)
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