Wermelskirchen Existenzkampf der Milchbauern

Wermelskirchen · Die Milchquote ist seit April Geschichte. Die Landwirte, die unter extrem niedrigen Preisen leiden, könnten also wieder melken, was ihre Kühe hergeben. Sie tun es aber nicht, denn sonst drohen Überproduktion und weiterer Preisverfall.

 Wenn Milchbauer Torsten Mühlinghaus rein wirtschaftlich denken würde, hätte er seinen Betrieb mit mehr als 100 Kühen in Mittelrautenbach schon längst aufgegeben.

Wenn Milchbauer Torsten Mühlinghaus rein wirtschaftlich denken würde, hätte er seinen Betrieb mit mehr als 100 Kühen in Mittelrautenbach schon längst aufgegeben.

Foto: Moll

Mehr als 30 Jahre deckelte die Europäische Union mit Hilfe der Milchquote - die 1984 eingeführt wurde - die Menge. Es sollte nur so viel Milch produziert werden, wie verbraucht wurde - um Butterberge und Milchseen zu verhindern. Die genaue Menge, die ein Landwirt liefern durfte, legte ein Milchkontingent fest. Seit April ist die Quote, die jahrzehntelang den Markt prägte, Geschichte. Bedeutet: Milchbauern können melken, was ihre Kühe hergeben. Sie tun es aber nicht.

"Nach dem Ende der Milchquote im April gab es sogar erst einmal ein geringeres Milchaufkommen als zur selben Zeit im Vorjahr. So gut wie niemand hat Vollgas gegeben", sagt der Dhünner Milchbauer Torsten Mühlinghaus. Denn: Überproduktion und ein weiterer Preisverfall würden sonst drohen. Mitte Mai durchbrach die Milchanlieferung zwar die Vorjahreslinie, "aber um auf die Schnelle viel mehr zu produzieren, bräuchte man auch viel mehr Platz, der nicht vorhanden ist. In NRW verliert die Landwirtschaft täglich etwa 14 Hektar an Fläche, die bebaut wird", sagt Mühlinghaus.

Der Quote trauert der Ortslandwirt nicht hinterher: "Sie sollte einen stabilen Milchpreis gewährleisten, was sie nicht tat", betont er. Am Montag saßen die Landwirtschaftsminister in Brüssel zusammen und debattierten die Lage auf dem EU-Milchmarkt. Einige Mitgliedsstaaten fordern alternative Möglichkeiten, um das Milchangebot nach dem Ende der Milchquote zu steuern. Im März, als es die Milchquote noch gab, erhielten die deutschen Landwirte 28 Cent pro Liter Milch. Mehr als knapp 30 Cent pro Liter gibt es auch jetzt nicht.

"Unser Produkt wird immer weniger wert, das darf einfach nicht sein. Die Lage ist existenzbedrohend, wir leben am Minimum", sagt Mühlinghaus, der zurzeit Ersparnisse aufbraucht. Bei einer Arbeitswoche von 60 Stunden kann er sich gerade mal einen Stundenlohn von sechs Euro zahlen. "Ich müsste meinen Betrieb eigentlich schließen, wenn ich rein wirtschaftlich denken würde, denn ich arbeite für weniger als den Mindestlohn. Aber der Beruf als Landwirt macht mir dafür einfach zu viel Spaß."

Seit gut 25 Jahren betreibt Mühlinghaus den Bauernhof in Mittelrautenbach, hielt Anfang der 90er Jahre zunächst 35 Kühe. Heute sind es mehr als 100. Im Bergischen Land gibt es insgesamt fast 30 000 Milchkühe. Im Rheinisch-Bergischen Kreis halten der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen zufolge 120 Bauern etwa 7000 Milchkühe. "In Mitteleuropa haben wir beste klimatisch Bedingungen, um Milchvieh zu halten: Es gibt genügend Wasser, zudem haben wir ein mildes Klima. Eigentlich müsste die Produktion hier weiter ausgebaut werden", sagt der Ortslandwirt.

Die Zahlen, die das Statistische Bundesamt Ende Juni veröffentlichte, sprechen - zumindest für kleine Betriebe - eine andere Sprache: Der Bestand an Milchkühen in der Bundesrepublik ist in sechs Monaten um rund 0,2 Prozent oder 9000 Tiere gesunken. Die Zahl der Milchkuhhaltungen ging um 2,2 Prozent auf knapp 75 000 zurück. Seit 2010 sind in Deutschland knapp 19 000 Betriebe aus der Milchproduktion ausgestiegen. Insgesamt hat ein Fünftel aller Erzeuger aufgegeben. Der Trend geht zu immer größeren Betrieben mit höheren Milchleistungen je Tier: Während jeder Halter 2010 durchschnittlich 45 Milchkühe in seinem Stall stehen hatte, sind es aktuell 57 Tiere. Derzeit gibt es in Deutschland 2 600 Milchkuhhaltungen mit mindestens 200 Milchkühen. Im Jahr 2010 waren es lediglich 1 800.

"Vor 20 Jahren gab es in Wermelskirchen noch etwa 30 Milchviehbetriebe. Mittlerweile kann man die Haltungen fast an einer Hand abzählen", sagt Mühlinghaus: "In zehn Jahren sind vielleicht noch zwei Landwirte übrig, die Milch produzieren", schätzt er. "Die Familienbetriebe bleiben auf der Strecke."

Kopfzerbrechen bereitet ihm vor allem der Preiskampf, der von den Discountern angeheizt wird, und der Einfuhrstopp von Molkereiprodukten nach Russland, das bis zum vergangenen Sommer zwei Prozent der deutschen Milchproduktion gekauft hat - insbesondere in Form von Butter und Käse. Man sieht daran: Auch die bergischen Bauern sind Teil es Weltmarkts. Mühlinghaus merkt auch, dass die Nachfrage aus Asien gebremst ist.

"Das Geschäft ist extrem hart", sagt der Milchbauer: "Wir müssen hohe Standards erfüllen, obwohl wir nur niedrige Preise für unser Produkt bekommen. Kühe sollen in einem Fünf-Sterne-Hotel leben. Der Handel sorgt allerdings dafür, dass wir uns nur einen Stern leisten können." Der Ortslandwirt versucht an allen Ecken und Enden zu sparen. Eigentlich dringend notwendige Anschaffungen stellt er zurück: "Es gibt erst einmal keinen neuen Futtermischwagen. Auch der alte Trecker kann nicht ersetzt werden", sagt Mühlinghaus, der pessimistisch ist: "In diesem Jahr ändert sich an den niedrigen Milchpreisen sicherlich nichts mehr."

(RP)
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