Peter Siebel "Die Jungen sehen bald ganz alt aus"

Wermelskirchen · Gespräch mit dem Geschäftsführer der Diakoniestation über die Zukunft der Pflege und die Bezahlung der Mitarbeiter.

 Peter Siebel leitet als Geschäftsführer die Diakoniestation Wermelskirchen und ist verantwortlich für 200 Mitarbeiter.

Peter Siebel leitet als Geschäftsführer die Diakoniestation Wermelskirchen und ist verantwortlich für 200 Mitarbeiter.

Foto: jürgen Moll (archiv)

WERMELSKIRCHEN Wenn Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ein Renteneintrittsalter mit 70 Jahren zur Diskussion stellt, ist das eine unpopuläre und strittige Forderung. Sie macht jedoch deutlich, dass auf das Problem der stetig älter werdenden Bevölkerung und die damit verbundene Belastung für die gesetzlichen Sozialsysteme reagiert werden muss. Der Geschäftsführer der Wermelskirchener Diakoniestation, Peter Siebel, wird nicht müde, eine solche Reaktion von der Politik zu fordern. In seinen Augen muss vor allem die Pflegeversicherung reformiert werden. Die Sorge, die Siebel umtreibt, fasst ein doppeldeutiger Spruch auf einem Schild in seinem Büro zusammen: "Die Jungen sehen schon bald ganz alt aus!"

Erfahren die Mitarbeiter in der Altenpflege genügend Anerkennung?

siebel Fragt man die Bevölkerung nach beliebten Berufen, ist die Pflege sehr weit vorne dabei - die Menschen erkennen den Beruf als wichtig an. Andererseits ist der Eindruck der Bevölkerung oft, dass die Pflege zu viel kostet. Das ist historisch bedingt: Früher kümmerten sich Nonnen oder Gemeindeschwestern oder eben Familienmitglieder. Das war selbstverständlich und wurde nie bezahlt. Heute verdient aber die fundierte Ausbildung zur Pflegekraft eine entsprechende Bezahlung. Zwischen 38 und 55 Euro werden für einen Handwerker bezahlt, das braucht die Pflegearbeit auch, um funktionieren zu können.

Wie stellt sich das bei der Diakonie dar?

Siebel Wir benötigen für eine Fachpflegekraft pro Stunde 50,40 Euro zur Kostendeckung. In der ambulanten Pflege verbringen die Mitarbeiter dabei ein Viertel ihrer Arbeitszeit im Auto. Bei der Diakonie sind die Kirchengemeinden die Gesellschafter - Gewinne müssen also nicht erzielt werden, wir möchten aber eine ordentliche und kostendeckende Arbeit abliefern.

Die Bezahlung von Pflegekräften gilt gemeinhin als schlecht, teilen Sie diese Auffassung?

Siebel Im Pflegeberuf herrscht eine nicht sonderlich gute Bezahlung. Die Mitarbeiter in der Pflege erhalten nach drei Jahren Ausbildung und absolviertem Examen als Anfangsgehalt 2100 Euro brutto, was sich auf maximal 2600 Euro steigert - das reicht am Ende gerade einmal für eine Rente. Das ist zu wenig, finde ich. Die körperliche Belastung einer Pflegekraft entspricht in etwa der eines Maurers, dazu kommt Schichtarbeit und die psychische Belastung. Die Mitarbeiter erleben naturgemäß Leid und Tod.

Was ist denn dann die Motivation in der Pflegearbeit?

Siebel Der überwiegende Teil der Menschen, mit denen wir zu tun haben, ist außerordentlich dankbar. Das trägt unsere Mitarbeiter und gibt Durchhaltevermögen! Auch die Kombination aus sozialer Arbeit und breitem Fachwissen ist für viele eine starke Motivation.

In vielen Berufszweigen manifestiert sich zunehmender Nachwuchsmangel. Glauben Sie, dass das auch in der Pflege so ist?

Siebel Die Personalnot wird sich zuspitzen. Zuletzt ist die Ausbildungsquote in der Pflege in NRW um 30 Prozent gestiegen, was sich erst einmal gut anhört. Aber hier schlägt die demografische Entwicklung ebenfalls zu. Die Zahl der Jugendlichen im Ausbildungsalter wird weniger und damit sinkt zwangsläufig auch die Quote. Hier passt wieder der Vergleich zum Handwerk, wo es genauso ist. Allerdings: Es wird immer Menschen geben, die ein Herz für helfende Berufe haben.

Als Geschäftsführer der Diakonie müssen Sie sich auf solche Entwicklungen einstellen...

Siebel Wir bilden intensiv aus, zur Zeit haben wir neun Auszubildende. Das setzen wir weiter fort. Zudem geben wir uns sehr viel Mühe mit den Auszubildenden, so dass die meisten Absolventen nach der Ausbildung auch sofort bei uns bleiben wollen. Wir wollen, dass unsere Mitarbeiter ihren Beruf gerne ausüben und schaffen im gesetzlichen sowie finanziellen Rahmen entsprechende Arbeitsbedingungen. Dazu gehören ein überschaubares Arbeitsfeld in einem harmonierenden Team und ein verlässlicher Dienstplan. Unsere Wohngemeinschaften für Senioren sind hier auch ein guter Ansatz, weil Mitarbeiter, die wegen der starken Belastung nicht mehr alleine unterwegs sein wollen, dorthin wechseln können - das gibt Rückhalt und Sicherheit. Zugegeben: Das ist von uns ein Stück weit egoistisch gedacht, weil es nicht das gesellschaftliche Problem löst.

Ist in Ihren Augen die Pflege in Deutschland denn überhaupt vernünftig aufgestellt?

Siebel Nein. Die Politik verschließt die Augen vor der Wirklichkeit. Zurzeit wird 60 Prozent der Pflegearbeit in Deutschland im familiären Umfeld geleistet. Das bleibt nicht so. Es ist eine Illusion, daran festzuhalten. Die Politik muss endlich ehrlich sagen, dass es so nicht weiter geht, sich mit Fachleuten zusammensetzen und Lösungen finden.

Was sind Ihrer Meinung nach Lösungsansätze?

Siebel Schweden macht es vor. Dort ist der Pflegeberuf besser bezahlt und die Pflege eine staatliche Aufgabe, die, ohne nach oben hin gedeckelt zu sein, von Steuern finanziert wird. Unser Versicherungssystem führt dazu, dass viele nicht einzahlen. Die Einführung der Pflegeversicherung ist eine richtige Entscheidung gewesen. Jetzt muss sie weiter entwickelt und auf eine breitere Basis gestellt werden - jeder, der Geld verdient, muss seinen Beitrag einbringen.

(sng)
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