Wermelskirchen Bei "Walli" wird ein Haus zum Zuhause

Wermelskirchen · Menschen auf der Flucht suchen eine Herberge - auch in der Adventszeit. Aber längst nicht alle Wohnungseigentümer wollen an sie vermieten. Daher werden die Wohnungen knapp. Waltraud Burghoff hingegen hat es nicht bereut, an Flüchtlinge zu vermieten.

 Vermieterin Walli Burghoff hat gute Erfahrung mit Flüchtlingen gemacht. Am dritten Advent saßen alle zusammen: Zakaria Arli, Waltraud Burghoff, Abdulhammed Atli, Klaus Förster und Moaawh al Basheer (v.l.).

Vermieterin Walli Burghoff hat gute Erfahrung mit Flüchtlingen gemacht. Am dritten Advent saßen alle zusammen: Zakaria Arli, Waltraud Burghoff, Abdulhammed Atli, Klaus Förster und Moaawh al Basheer (v.l.).

Foto: Jürgen Moll

Als Moaaweh Al Basheer seine eigene kleine Wohnung in Wermelskirchen suchte, machte der damals 23-Jährige zwei Entdeckungen: "Es gibt wenige kleine Wohnungen in einer kleinen Stadt", sagt er. Das war die erste Feststellung. "Und viele Menschen haben Vorbehalte gehabt", sagt er. Vorurteile, weil er Syrer ist. Wohnungseigentümer wollten lieber deutsche Mieter haben und schickten den jungen Mann wieder weg. "Es gibt diesen Unterschied in den Kulturen: In meiner Heimat gehen die Menschen auf Fremde zu", sagt Moaaweh, "hier müssen Fremde auf die Menschen zugehen, denn sie sind distanziert."

Also machte er genau das: Er redete mit den Menschen, wurde nicht müde, sie freundlich zu grüßen, sie nach ihrem Tag zu fragen. "Wenn sie mich kennen, dann sind sie nicht mehr distanziert", sagt er und lacht. Ein einnehmendes, ansteckendes Lachen. So stand er vor zwei Jahren plötzlich vor der Haustür von Waltraud Burghoff und ihrem Lebensgefährten. Sie hatten eine Dachwohnung zu vermieten und waren durch ihren Nachbarn darauf gekommen, an Flüchtlinge zu vermieten. Wieder stand Moaaweh Al Basheer vor einer fremden Tür - auf der Suche nach einer Wohnung. "Aber Frau Walli war mir nicht eine Sekunde fremd", sagt er.

Waltraud Burghoff vermietete ohne den geringsten Zweifel an den jungen Mann aus Syrien und hat es seitdem nicht bereut. Und deswegen fiel ihr und ihre Lebensgefährten im vergangenen Jahr die Entscheidung nicht schwer, die zweite frei werdende Wohnung wieder Geflüchteten anzubieten - aber erst sprach sie mit Moaaweh.

Der stimmte zu und seitdem wohnen die Brüder Zakaria (15) und Abdulhamed (27) Atli im Erdgeschoss. Die Miete kommt pünktlich - bei den einen vom Amt, bei dem anderen inzwischen vom eigenen Konto.

"Ich habe selber erwachsene Söhne. Und ich habe mir vorgestellt, sie hätten als junge Männer aus Deutschland flüchten und irgendwo in der Fremde ein neues Heim finden müssen. Dann würde ich mir doch wünschen, dass eine Familie sie aufnimmt und sich um sie kümmert", sagt Walli Burghoff, "genau diese Frage müssen wir uns stellen."

Die frisch gebackene Rentnerin stellte sie sich und fand eine Antwort: Sie wollte den jungen Männern ein neues Zuhause geben. "Gott sei Dank hat sich Frau Walli so entschieden", sagt Moaaweh Al Basheer, "wir leben hier wie eine Familie."

Inzwischen macht der junge Syrer eine Ausbildung zum Zahntechniker. Früher hat er manchmal die Heizung den ganzen Tag laufen lassen und abends das Fenster aufgemacht - die Heizung bollerte weiter. "Als die Abrechnung kam, haben wir darüber gesprochen", erzählt Walli Burghoff. "Und jetzt weiß ich, wie es geht", ergänzt Moaaweh Al Basheer und lacht.

Das gilt auch für die Mülltrennung, die auch Zakaria Atli am Anfang ein Rätsel war. "Was soll wohin?", fragte er. Also suchte seine Vermieterin im Internet nach einer Erklärung auf Arabisch, fand sie, hängte sie aus und löste das Problem. "Manchmal finde ich in der Waschmaschine noch Weichspüler im Fach für das Waschmittel", sagt sie, "aber auch da reden wir drüber und klären das Missverständnis."

Und darüber hinaus sorgen die drei jungen Männer für sich selbst. "Heute lief oben der Staubsauger. Da musste ich schmunzeln und dachte: Moaaweh bekommt sicher Besuch", sagt die Vermieterin. Der junge Mann, der ihr am Esstisch gegenüber sitzt, lacht schallend. "Das hast du gedacht?" fragt er dann. "Ich habe doch nur sauber gemacht." Und auch die Brüder im Erdgeschoss regeln ihren Alltag: Der Jüngere putzt, der Ältere kocht. Der Rest wird geteilt.

Am Nikolaustag fanden die jungen Männer auf ihren Stufen plötzlich gefüllte Stiefel mit Berliner Brot und Halal-Gummibärchen - ohne tierische Gelatine, die nach islamischem Gesetz nicht erlaubt ist. "Ich habe auch selber viel gelernt in diesen beiden Jahren", sagt Walli Burghoff, "über die Heimat der Jungs, aber auch über Ämter und Behörden." Im vergangenen Jahr hat sie mit Moaaweh einen Kirschbaum im Garten gepflanzt. Im nächsten Jahr wollen sie gemeinsam ernten.

(RP)
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