Wassenberg Drei Jahre und einen Tag auf der Walz

Wassenberg · Über die Zünfte und Regeln für Wandergesellen berichtete Walter Bienen im Wassenberger Bergfried. Für den Heimatverein bietet er Stadtführungen "auf der Walz" an, das nächste Mal wieder am 24. Juni 2018.

 Die Zimmerleute Konrad (l.) und Michael Meeßen (r.) sowie der Tischler Frank Rombey stellten sich im Bergfried vor mit Walter Bienen (2. v. li.), der ebenfalls gelernter Tischler ist.

Die Zimmerleute Konrad (l.) und Michael Meeßen (r.) sowie der Tischler Frank Rombey stellten sich im Bergfried vor mit Walter Bienen (2. v. li.), der ebenfalls gelernter Tischler ist.

Foto: SPICHARTZ

Drei Jahre und ein Tag - wer von Wassenberg aus als Geselle auf Wanderschaft, die "Walz", gegangen war und am 31. Oktober 1517 (Samstag, Vollmond) wieder ans Roß-, ans Brühl- oder Birgelener Tor klopfte, hatte "sein" Städtchen über genau diesen Zeitraum nicht gesehen. In den 1097 Tagen (1516 war ein Schaltjahr) durfte sich der Wandergeselle nach den Zunftregeln seiner Stadt nicht auf weniger als 50 Kilometer nähern.

Den historischen Wandergesellen mit allen Attributen gab nun Stadtführer Walter Bienen - aber nicht wie vorgesehen auf einer Fußroute durch Wassenberg, sondern ob regnerischen Wetters im Bergfried der Burg in einem anschaulichen Vortrag.

Anschaulich auch deshalb, weil Walter Bienen als gelernter Tischler in der "Kluft", der Kleidung der Wandergesellen, auftrat, die vor 500 Jahren vermutlich etwas anders aussah als die von heute. Vor 500 Jahren entfiel auch der heute von Wandergesellen geübte Verzicht aufs Smartphone-Handy, Walter Bienen schaltete vorbildgebend für die gut 30 Teilnehmer sein Gerät zu Beginn des Vortrags aus.

Er stellte die verschiedenen Aspekte von Handwerk, der Stellung der Betriebe, der Meister, Gesellen, Lehrlinge, der Meister-Ehefrau, der Zünfte als Normengeber, Interessensvertretung mit ihrer Stellung in der städtischen Gesellschaft als Zeitreise durch mehrere Jahrhunderte vor.

Zünfte waren rein städtische Phänomene, da mit der Entwicklung der Städte zu größeren Siedlungen viele Handwerksbetriebe entstanden, von denen sich die zum gleichen Gewerbe gehörenden zu Zünften zusammenschlossen - Wassenberg hatte seit dem Jahr 1273 das Stadt- und damit auch Marktrecht. Und auch die Stadttore und die Stadtmauern in Wassenberg spielten eine Rolle bei sozialen Aufgaben der Zünfte, wie Walter Bienen verdeutlichen konnte.

Dazu gehörten die Wachaufgaben an den drei Stadttoren, an der Stadtmauer und ihren Türmen. Die "Wehrverfassung" der Städte band Meister und Gesellen ein, die Bewaffnung verschaffte den Zünften zeitweise auch eine starke Stellung innerhalb der Stadtgesellschaft.

Die Zünfte regelten Produktion und Absatz ihrer Waren in der Stadt, Meister konnte in der Regel nur ein Meistersohn werden, der ging nicht auf die Walz - die anderen Gesellen schon, nicht nur zum Erwerb fachlicher Kenntnisse, sondern auch deshalb, damit sie aus dem heimischen Arbeitsmarkt genommen wurden. Auf der Walz minderten sie für kurze Zeit personelle Engpässe bei den Meistern, bei denen sie auch wohnten, beköstigt durch die Meister-Ehefrau.

Alles war streng reglementiert, ritualisiert, beim Eintreffen in der Stadt in der einschlägigen Kneipe die Suche nach den Altgesellen der Zunft, daraufhin "Vorsprechen" beim Meister mit festgelegten Sprüchen nach dreimaligem Klopfen und bescheidenem Warten auf der Schwelle. Obermann und Stenz werden in der linken Hand gehalten. Alles diente der Disziplinierung der Gesellen, die man in der Fremde schwer in ihrem Verhalten gefährdet sah und damit den Ruf des eigenen Handwerks. Der Wandergeselle führte ein Wanderbuch, in das der Meister seine Bewertungen eintrug.

Voraussetzungen für die Wanderschaft: Der Geselle muss unter 30 Jahre alt und schuldenfrei sein, ebenso ledig und kinderlos. Und es wird wirklich gewandert oder getrampt, eigene Fahrzeuge sind nicht erlaubt, die Nutzung des öffentlichen Personenverkehrs und des Flugzeugs ist nicht verboten, aber verpönt. Kommuniziert wurde und wird untereinander in einer Geheimsprache, einem Soziolekt, einer für Außenstehende kaum verständlichen Mischung aus Deutsch, Hebräisch und Rotwelsch, einer alten Geheimsprache von Fahrensleuten, auch Gaunern.

Schon sehr früh schufen sich die Wandergesellen eigene Organisationen, die "Schächte" oder Bruderschaften bei den Ortsansässigen. Letztere waren auch in die religiösen Jahresabläufe eingebunden, sie waren nicht nur städtisch angesiedelt - als erste einer derartigen Berufs-Bruderschaft in der Region ist 1550 im Visitationsbericht über den Zustand der Pfarreien im Herzogtum Jülich in Hückelhoven eine "broderschaft der wenmecher" aufgeführt, das waren Wannenmacher, Korbmacher.

Beim Auftakt seiner Wandergesellen-Führung war Walter Bienen nicht allein in seiner Kluft - mit den Zimmerleuten Konrad und Michael Meeßen sowie dem Tischler Frank Rombey waren weitere Anwesende "zünftig" gekleidet.

Die Walz hat in für junge Gesellen an Attraktivität unter anderem durch ihre Individualität gewonnen. Eine Malaise kann heute nicht mehr auftreten, die szenisch 1750 frühmorgens in einer Kneipe auf dem Roßtorplatz hätte spielen können: "Aufstehen! Abmarsch!" Der junge Wandergeselle hebt seinen Brummschädel von der Tischplatte, die trüben Augen fallen auf ein Papier mit seiner Unterschrift.

Der Brüller am frühen Tag ist der nette Herr vom Abend zuvor, der ihm so viele Biere und Körnchen spendierte, jetzt aber die Rechnung präsentiert: Einen Anwerbevertrag für eine der vielen Armeen der Reichsterritorien Deutschlands. Drei Jahre und ein Tag Freiheit auf der Straße - dahin gegen Jahre Kasernenknast und Drill, Knüppel auf dem Rücken statt Wanderstock in der Hand und ein frohes Lied auf den Lippen.

(isp)
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