Heimat erleben Den flügellosen Motten auf der Spur

Wassenberg · Motten nannten sich die Fluchtburgen des Mittelalters mit Wohnturm und Nebengebäuden. Die im Wassenberger Wald versteckte Motte Hoverberg kann bei Führungen besichtigt werden. Unterwegs mit Heimatkundler Walter Bienen.

 Walter Bienen vom Heimatverein auf dem Erdhügel, der im Mittelalter eine Fluchtburg trug. Die Motte Hoverberg liegt heute im Naturschutzgebiet.

Walter Bienen vom Heimatverein auf dem Erdhügel, der im Mittelalter eine Fluchtburg trug. Die Motte Hoverberg liegt heute im Naturschutzgebiet.

Foto: Uwe Heldens

Statt Sonnenschein im "goldenen Oktober" Schneeregen bei zwei Grad - keine idealen Voraussetzungen, um bei einem Waldspaziergang einen verwunschenen geschichtsträchtigen Ort zu erkunden. Doch Walter Bienen vom Wassenberger Heimatverein war gestern dennoch bereit, der Nässe zu trotzen und uns zur Motte Hoverberg zu führen.

Motte kennzeichnet hier nicht etwa das bekannte Flügelwesen, sondern eine mittelalterliche Wehranlage, bestehend aus einem aufgeschütteten Hügel mit einer Burg. Die man sich, wie Bienen erläutert, allerdings nicht im Stil klassischer Burgenromantik vorzustellen hat. Zumeist bestanden Motten wie die am Hoverberg unweit des früheren Zechengebäudes am Ossenbrucher Weg - nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Veranstaltungsplatz in Birgelen - aus einem mehrgeschossigen Wohnturm und Nebengebäuden. Allesamt aus Holz, palisadenbewehrt und mit einem Wassergraben umgeben. Ein solcher umschloss zumeist auch das Gelände einer Vorburg mit weiteren Gebäuden.

Die Motte Hoverberg liegt heute - bewusst schwer zugänglich - inmitten eines Naturschutzgebietes abseits offizieller (Wander-)Wege. Sie ist nur bei heimat- und naturkundlichen Führungen zu besichtigen, wie sie der Wassenberger Heimatverein immer mal wieder anbietet. Der Hügel mitten im Wald - die Plattform hat rund 14 Meter Durchmesser - ist wie ein Teil des Wassergrabens noch deutlich wahrnehmbar. Die Motte zeigt mit einer baufälligen Schutzhütte und maroden Holzbänken noch die Spuren früherer Nutzung als Pausen- und Feierplatz der Zechenarbeiter. Die haben offenbar auch den rund acht Meter tiefen Brunnen mit einer dicken Holzplatte abgedeckt. Walter Bienen verschiebt sie und leuchtet in den Schacht. "Interessant", sagt er. "Ich dachte lange, der Brunnen wäre längst zugeschüttet."

Von den Gebäuden gibt es natürlich keine sichtbaren Spuren mehr. Aber Bienen hat eine Skizze der archäologischen Grabungen aus den fünfziger Jahren dabei und Unterlagen aus diversen Forschungsaufsätzen. "Drei Holzgebäude müssen hier gestanden haben", sagt er. Einen 5,6 mal 5,2 Meter großen Wohnturm mit vier Eckpfosten, Stab- und Bohlenwände haben die Archäologen nachweisen können, zudem zwei weitere Gebäude mit eingetieften Kellerböden, in denen vermutlich auch Vorräte gelagert werden konnten. Scherbenfunde und sog. Blaugraue Ware des 11. und 12. Jahrhunderts gaben den Archäologen Hinweise auf die Entstehungs- und Nutzungszeit der Motte, die wohl nur von der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts bis in die Mitte des 12. Jahrhunderts genutzt worden ist. Anders die Gebäude der südlichen Vorburg, die laut Forschungsliteratur noch bis 1820 genutzt wurden. Ob der um diese Zeit abgerissene Ossenbrucher Hof ein zur Motte gehörendes mittelalterliches Landgut als Vorgänger hatte, konnte allerdings nicht belegt werden.

Wer nutzte eigentlich diese mittelalterlichen Fluchtburgen? Im Gegensatz zu den frühen Motten aus dem 9. Jahrhundert, in denen sich Siedler gegen den Normannensturm schützten, war es im 12. Jahrhundert wohl eher der niedere Landadel, der sich gegen Konkurrenten auf diese Weise abschottete, erläutert Bienen. "Damals waren Auseinandersetzungen unter verschiedenen Familien wohl an der Tagesordnung", sagt Bienen.

Turmhügelburgen, wie die Motten auch genannt werden, gab es in unserer Gegend viele. Bekannt sind die Motte Alde Berg in Dalheim oder die Tüschenbroicher Motte, auch der Wassenberger Burgberg ist ursprünglich eine Motte. Weitere dieser Burgen gibt es in Waldfeucht, Karken, Vlodrop, Rothenbach, Keyenberg und an der Ophover Mühle. Flussnahe und unwegsam-sumpfige Gelände waren bevorzugte Standorte, weiß Bienen. Und er führt uns am Schluss zu einem "verdächtigen" Hügel an der Landwehr bei der Gitstapper Mühle. "Auch das kann nur eine Motte gewesen sein", ist Bienen sicher.

(RP)
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