Wassenberg Abschied vom "zweiten Zuhause"

Wassenberg · Dr. Ruth Seidl startet nach 17 Jahren Landtagspolitik für die Grünen in eine neue Lebensphase. Der Ausstieg war angekündigt. Trotz der Wahlniederlage ihrer Partei blickt Seidl insgesamt zufrieden auf ihre Arbeit zurück.

 Ruth Seidl am heimischen Flügel. Die promovierte Musikwissenschaftlerin freut nun sich auf mehr Zeit für das Klavierspiel zu vier Händen mit einer Bekannten.

Ruth Seidl am heimischen Flügel. Die promovierte Musikwissenschaftlerin freut nun sich auf mehr Zeit für das Klavierspiel zu vier Händen mit einer Bekannten.

Foto: Jürgen Laaser

"Es war schon eine besonderes Gefühl, erstmals als Gast im Landtag auf der Zuschauertribüne zu sitzen, statt unter den Abgeordneten", erzählt Dr. Ruth Seidl, die nach 17 Jahren als Abgeordnete der Grünen am 1. Juni bei der konstituierenden Sitzung des neuen NRW-Landtages verabschiedet wurde. Ein wenig Wehmut, ja die habe sie schon gespürt, sagt Seidl beim Gespräch in ihrem Haus in Birgelen, dominiert habe aber ein Gefühl der Entspannung und Vorfreude auf einen neuen Lebensabschnitt. "Schließlich war mein Abschied ja geplant und nicht unfreiwillig wie bei anderen Kollegen", eben jenen, die durch das Wahlergebnis nun unerwartet aus dem Amt geworfen wurden.

Aber eine Umstellung wird die neue Lebensphase schon. "Der Landtag und die Kollegen sind für mich in 17 Jahren eine Art zweites Zuhause geworden", bekennt Seidl. Sie blickt alles in allem - trotz des jüngsten Wahldesasters für die NRW-Grünen - mit Zufriedenheit auf ihre Landtagszeit und das Erreichte zurück. Immerhin habe sie ja schon seit 1994 als Landes-Geschäftsführerin die Politik der Grünen im Land begleitet und mitgestaltet. Insgesamt erinnert sie sich an viele freundschaftliche Kontakte und gute Zusammenarbeit in der Fraktion und darüber hinaus mit SPD-Kollegen, aber oft genug auch mit politischen Gegnern. "Die Auseinandersetzungen im Landtag waren zwar in der Sache oft hart, aber in aller Regel auch sehr fair", sagt sie. "Man wusste, dass Kritik nie persönlich gemeint war."

Mit ihrer eigenen Arbeitsbilanz ist Seidl zufrieden. Ihr Arbeitsschwerpunkt, dem sie sich mit viel Herzblut widmete, war die Hochschul- und Wissenschaftpolitik, für die sie als Sprecherin der Grünen fungierte. Und sie ist überzeugt, einiges für die Hochschulen mit bewegt zu haben. Als Beleg nennt sie die Aufstockung die Gelder um 60 Prozent seit 2010 auf heute 8,45 Milliarden Euro im aktuellen Etat. Der Landeshochschul-Entwicklungsplan habe zu neuen Fachhochschulen geführt, und die Aufstockung der Studienplätze, nötig auch aufgrund der "doppelten Abi-Jahrgänge", sei gelungen. Ungeachtet der Oppositions-Kritik, die Rot-Grün "Gängelung" der Hochschulen vorwarf, erinnert sich Seidl an gute Zusammenarbeit mit Professoren und Wissenschaftlern. "Bis zuletzt habe ich viele positive Rückmeldungen von ihnen bekommen." Seidls 1140 Redebeiträge in Plenar- und Ausschuss-Sitzungen in 17 Jahren bezogen sich freilich längst nicht nur auf Hochschulpolitik.

Beim Endlos-Thema Schulpolitik war für Seidl das Erreichen des Schulkompromisses im Landtag wichtig. Beim Thema Inklusion zieht sie, bezogen auf die vergangene Regierungskoalition, auch selbstkritische Bilanz: gut gemeint, aber in der Umsetzung nicht überzeugend - lautet ihr realistisches Fazit. Für viele Schulen sei es eine Überforderung gewesen. "Da hätten wir langsamer vorgehen, die Schulen besser mitnehmen müssen."

Für die Region sieht sie das Erreichen der L 117-Umgehung ("Als gebürtige Ratheimerin freut mich das besonders") und der B 221n als Erfolg ihres guten Drahtes zum SPD-Verkehrsminister Michael Groschek an. Die umstrittene, nun doch wohl kommende B221n-Rurquerung ist ihr als Grüner freilich ein Dorn im Auge. Ansonsten bekennt sie, bei den Straßenprojekten durchaus auch mal gegen den Strom der eigenen Partei geschwommen zu sein. Aber sie steht dazu. "Die Umgehungen Wassenberg und Ratheim sind für die Menschen hier wichtig, dafür musste ich mich einsetzen." Und natürlich darf das Stichwort Garzweiler II nicht fehlen. "Die Tagebauproblematik begleitet mich schließlich seit 25 Jahren in der Landespolitik. Die Verkleinerung war geboten", sagt sie.

"Und vergessen Sie bei meinem Einsatz für die Region nicht, auch das neue Erkelenzer Amtsgericht zu erwähnen", betont Seidl. Ihre gute Verbindung zu Justizminister Thomas Kutschaty hätte dem Projekt den nötigen Schub gegeben, sagt sie. Ein Extra-Lob bekommt auch die gute Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg mit den beiden CDU-Bürgermeistern Peter und Bernd Jansen aus Erkelenz und Hückelhoven.

Eine Zukunft aus lauter Freizeit kann sich die 63-jährige dreifache Mutter und achtfache Oma freilich auch jetzt noch nicht vorstellen. Zwar werden Familie und das Hobby Klavierspiel bei der promovierten Musikwissenschaftlerin nun mehr Zeit finden, aber das gesellschaftliche und vor allem kulturelle Engagement wird bleiben.

Gerade sitzt Seidl als Vorsitzende des Frauenkulturbüros NRW auf gepacktem Koffer für eine Reise nach Tiflis aus Anlass des deutsch-georgischen Freundschaftsjahres. Ein vom Frauenkulturbüro organisierter Künstlerinnenaustausch (Stipendiatinnen) ist Teil der Kooperation. Ohnehin wird Seidl die Förderung von Frauen im kulturellen Leben - wie schon im Landtags-Kulturausschuss - weiterhin ein Anliegen bleiben, für das sie sich einsetzen will.

Auch die Arbeit im Fachbeirat der Heinrich-Böll-Stiftung (vergibt Hochschul-Stipendien), dem Kuratorium der Johannes-Rau-Forschungsgemeinschaft (Forschungsprojekte zum Themenfeld Nachhaltigkeit) sowie dem Landesbeirat der Kunst- und Musikhochschulen geht weiter - für Seidl künftig mehr Lust als Last.

(RP)
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