Schwalmtal Zwei Schicksale rekonstruiert

Schwalmtal · Wenn am Sonntag der "Zug der Erinnerung" in den Viersener Bahnhof rollt, sind dort auch die Arbeiten der Klasse 10c der Europaschule Schwalmtal zu sehen. Schüler haben sich mit dem Thema "Unwertes Leben" beschäftigt.

"Ich heiße Else und wurde am 1. März 1931 in Duisburg geboren" — diesen ersten Satz einer Erzählung in der Ich-Form tippt Nicole Giesen gerade in den Rechner im Computerraum der Europaschule Schwalmtal ein. "Das ist die Geschichte eines kleinen Mädchens, das während der Zeit des Nationalsozialismus in Schwalmtal-Hostert ums Leben kam, weil es behindert war. Wir erzählen es in der Ich-Form", erklärt die 16-jährige Schülerin der Klasse 10c.

Geschichte vor der Haustür

An dem Rechner-Platz neben ihr korrigiert Celine Scheibler (16 Jahre) einen Text, der sich medizinisch sachlich mit Else H. beschäftigt, Diagnose: nicht erziehungs- und bildungsfähig. 1931 geboren und 1942 in der so genannten Kinderfachabteilung Schwalmtal-Hostert gestorben an völliger Unterernährung. 1,40 Meter groß und gerade einmal 20 Kilogramm schwer.

"Schrecklich, wenn man sich vorstellt, dass das quasi vor unserer eigenen Haustür passiert ist. Man denkt immer, Geschichte ist so weit weg. Ich wohne seit 13 Jahren in Schwalmtal, habe aber davon nichts gewusst", erzählt Celine.

99 behinderte und lernschwache Kinder sind während der Zeit des Nationalsozialismus in dieser Einrichtung ums Leben gekommen. Die Klasse 10c erinnert nun im Rahmen des "Zuges der Erinnerung", der für drei Tage Station in Viersen macht, an die Opfer. In diesem Fall an die behinderten Kinder, die ihr Leben lassen mussten. Das Thema Hostert war den Zehntklässlern dabei nicht fremd. Sie gestalteten die Gedenkfeier am 26. Januar vor Ort und beschäftigen sich entsprechend seit Ende der Weihnachtsferien mit dem Thema, insbesondere mit den Schicksalen von Else H. und Anneliese B..

"Da traf es sich gut, dass ich in Sachen Zug der Erinnerung angesprochen wurde", erinnert sich Lehrerin Karin Leidenberger, die das Projekt in der Hauptschule betreut. Das schon erarbeitete Material wurde vertieft, und derzeit sind die 22 Schüler damit beschäftigt, die Vielzahl der erarbeiteten Informationen ansprechend auf DinA1-Plakate zu bringen. Bei den Jugendlichen hat die Auseinandersetzung mit dem Thema vor der eigenen Haustüre Spuren hinterlassen.

"Für mich war das früher einfach die Kent Schule von den Engländern. Heute weiß ich mehr darüber, und wenn ich auf dem Weg zum Fußballtraining daran vorbeifahre, ist das schon ein anderes Gefühl", bemerkt Cihar Aslan (15 Jahre). Auch Melina Bähren (15) geht das Thema nahe. Die Schicksale der beiden kleinen Mädchen bewegen sie. Till Rast (15) kann sich fast gar nicht vorstellen, dass so etwas im kleinen, beschaulichen Schwalmtal passiert ist. "Man denkt da immer an große Städte, die weit weg sind", meint Justin Gross.

Nun sind die Jugendlichen einmal gespannt darauf, was Besucher des "Zuges der Erinnerung" zu ihren Arbeiten sagen werden. Sie selber besuchen den Zug am Montagmorgen.

(RP)
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