Heimat genießen - in Viersen Wo steht noch ein "Schöner von Elmpt"?

Viersen · Die Suche nach Äpfeln und Birnen aus heimischer Ernte ist mühsam. In den Supermärkten dominieren weltweit gängige Sorten, die in großen Plantagen angebaut werden. Man muss schon bis Kempen und St. Tönis fahren.

 Früher gehörte zu jedem Hof ein Bongert, eine Wiese mit Obstbäumen. Heute werden mancherorts wieder Obstwiesen angelegt. Auch in Parks gibt es zum Teil noch alte Obstbäume, wie hier im Lunapark in Süchteln.

Früher gehörte zu jedem Hof ein Bongert, eine Wiese mit Obstbäumen. Heute werden mancherorts wieder Obstwiesen angelegt. Auch in Parks gibt es zum Teil noch alte Obstbäume, wie hier im Lunapark in Süchteln.

Foto: Busch

Braeburn, Golden Delicious, Elstar, Granny Smith - diese und ähnlich fremd klingende Namen sehen wir im Supermarkt auf den Etiketten, wenn wir Äpfel im Sechserpack kaufen wollen. Sie kommen aus Südtirol, Südafrika, Neuseeland und anderen Ländern dieser Welt. Doch wo bleiben Sternrenetten, Cox Orange, Boskop und der "Schöne von Elmpt", die Äpfel aus der Jugendzeit nach dem Zweiten Weltkrieg? Sie führen nur noch ein Nischendasein, ihnen erging es ähnlich wie Samt und Seide, die längst von Kunstfasern abgelöst wurden.

"Der Jakob Lebel hier ist ein prima Kompottapfel", sagt Günter Wessels, als er zwei Äpfel pflückt. Der Obstbauexperte des Naturschutzbundes (Nabu) Kreis Viersen fügt gleich hinzu: "Die Hausfrauen lieben ihn, weil er schnell schneeweißen Kompott liefert." Aber: Jakob Lebel schmeckt auch ohne Kochen so auf der Faust, ist saftig und lässt sich bis auf den kleinen Stiel prima verzehren. Wessels ist in diesen Tagen von morgens bis abends unterwegs, um Äpfel und Birnen von alten Bäumen zu pflücken, die nicht kilometerlang in Reih und Glied stehen, sondern nur noch vereinzelt zwischen Niers und Maas zu finden sind.

Bis in die 1960er-Jahre gehörte zu jedem Bauernhof ein Bongert, eine Wiese mit Obstbäumen, auf der auch das Vieh grasen konnte. Er stellte die Obst-Versorgung des Hofes und der nicht landwirtschaftlichen Verwandtschaft sicher. Und in vielen Hausgärten standen Apfel-, Kirsch-, Birnen- oder Pflaumenbäume, die heute von sterilen Thujas abgelöst worden sind. Mit dem bequemen Obstangebot im Supermarkt starb ein Stück Heimat aus, war auch das nicht mehr so sehr gefragt, was professionellen Obstbauern viele Jahrzehnte empfohlen worden war.

Jakob Bongartz, Rektor der Hinsbecker Schule, gehörte Anfang des 20. Jahrhunderts zu den Pionieren des gewerblichen Obstanbaues im Kreis. In seinem großen Garten nahe am Marienheim begann er mit dem Anbau von Beeren und kleinen Obstbäumen. Seine Anlage, die auch von einem erst in den 1970er-Jahren abgebrochenen Turm gut zu beobachten war, zog zahlreiche Gäste von Nah und Fern an, denn diese komprimierte Darstellung des Obstanbaus war einmalig. "Heute, in gleicher Bewunderung, wie so oft seit 1914", schrieb Hans Tenhaeff 1924 in das Gästebuch. Diesem Gartenbaupionier ist heute eine Straße in Straelen gewidmet.

Hat sich Bongartz um die praktische Verbreitung des Obstanbaues gekümmert, so war das Interesse des Elmpter Baumschulbesitzers Gerhard Sanders auch auf die Züchtung neuer Sorten ausgerichtet. Grundlage für den "Schönen aus Elmpt" war ein Samen aus der Sorte Bellefleur in Limburg, die dann zunächst Sanders Bellefleur hieß, ehe sie 1921 nach einer Gartenschau in Doveren ihren Elmpter Ortsnamen erhielt. Sanders hatte mit ihr einen "Exportartikel" geschaffen, denn vom Bahnhof Brüggen aus wurden unzählige Stämme vor allem nach Nieder- und Oberschlesien geliefert. Der Baum blühte erst spät, so dass weniger Ertragsausfälle durch Spätfröste zu erwarten waren. Aufgrund seiner überwiegend säuerlichen Frucht ist der "Schöne aus Elmpt" vor allem als Mostapfel oder als Backapfel und zur Kompottherstellung verwendet worden. "Ein Stamm ist uns leider eingegangen", bedauert Wessels. Dafür freut er sich auf einem Wasserschutzgelände der NEW am Viersener Ortsrand über mehrere Zuccalmaglios Renette. Der Name deutet auf Italien hin, doch kommt er aus Grevenbroich, denn der dort lebende Ingenieur Diedrich Uhlborn züchtete ihn 1878 aus der Ananasrenette und dem purpurroten Agatapfel und benannte ihn nach seinem Schwiegervater Vinzenz Jacob von Zuccalgamlio, der Justizrat war und unter dem Namen Montanus als Schriftsteller publizierte. Aus Grevenbroich kommt aber auch noch die Ananasrenette pur vor der Kreuzung. Auf dem NEW-Gelände wachsen ein gutes Dutzend Sorten, darunter auch der Eifeler Rambur, der Finkenwerder Herbstprinz, der auch Steirische Schafsnase genannt wird, und der Kaiser Wilhelm, den viele zunächst einmal nach dem Züchter Peter Broich nannten.

Zu den "alten Birnen" gehört die "Dycker Schmalzbirne", die nichts mit dem Lobbericher Ortsteil Dyck zu tun hat, sondern auf Schloss Dyck von Fürst Joseph zu Salm-Reifferscheidt gezüchtet wurde. Als Züchtung aus dem Rheinland bekannt ist auch der Wassenberger Sämling, eine Pfirsichsorte.

Der gewerbliche Obstanbau hat in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem im Raum Kempen, St. Tönis, Willich Fuß gefasst. Dies ging einher mit dem Wandel vom traditionellen Hochstamm zum Niederstammanbau, der heute vor allem entlang des Krefelder Weges von Kempen nach Krefeld zu beobachten ist. Als "Spalierobst" werden dort meist international gängige Sorten wie James Grieves, Gravensteiner, Elstar, Braeburn und Gloster, aber auch Boskop angeboten und vom Hof aus vertrieben.

(mme)
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