Kreis Viersen Wir leben in einem Erdbebengebiet

Kreis Viersen · Die Region um den Kreis Viersen liegt über einer alten Schwächezone in der Erdkruste, die sich bis zum Oberrhein hinzieht. Der Geologische Dienst registrierte innerhalb von 25 Jahren mehr als 1000 Erdbeben. Deshalb muss seit einigen Monaten in der Seidenstadt erdbebensicher gebaut werden.

„Und abermals am 26. Januar 1756 morgents um ein Viertel vor 4 Uhr ist hinwider ein Erdbeben mit einer kleinen Erschütterung „wahrgenommen“ worden. Schrecken und Furcht befielen die Menschen und schlimmer Vorahnungen. Die Jesuiten riefen zum Gebet auf und veranstalteten eine Bittprozession, an der auch der Magistrat teilnahm. Und als die Fastnachtstage nahten, an deren alteingewurzelten Bräuchen die Bevölkerung trotz wiederholter Verbote festhielt, schärfte der Magistrat den Mitbürgern mit besonderem Ernst ein, „wegen der mächtig-fürchterlichen Zeiten deren öfteren Erdbebungen“ alle Spiele, Tänze, Feiern, Verkleidungen und Ausgelassenheiten bei Strafe zu unterlassen.“ (Aus einer Neusser Chronik, zitiert bei Stefan Kronsbein, Katalog der historischen Erdbeben am Linken Niederrhein bis zum Jahr 1846).

Serie von Beben Ende 1755

Die hier geschilderte Reaktion des Magistrats der Stadt Neuss bezieht sich auf eine Serie von Schadenbeben, die gegen Ende des Jahres 1755 das Gebiet um Aachen und Düren heimsuchte und auf der von I bis XII reichenden Intensitätsskala für Erdbeben die Stufe VIII erreichte, die für schwere Schäden steht. So stürzten in Aachen an die 300 Schornsteine herab, in Köln waren es noch über hundert. In der Stadtmauer von Düren klafften große Spalten und einige Gebäude brachen zusammen. In manchen Ortschaften wagte fast niemand mehr in steinernen Häusern zu wohnen und die Bevölkerung hauste wochenlang ohne Rücksicht auf das Winterwetter in Strohhütten. Auch die Gottesdienste wurden ins Freie verlegt, da die Nachbeben noch bis Mai 1757 anhielten.

Neben dem Oberrheingraben und der Schwäbischen Alb zählt die Niederrheinische Bucht zu den aktiven Erdbebengebieten Deutschlands. Erdbeben entstehen durch Bewegungen der Erdplatten. Die Niederrheinische Bucht wird durch den mittelatlantischen Rücken und die Kollisionszone zwischen Afrika und Europa wie in einem Schraubstock zusammen gepresst. Die eingeklemmten Teile weichen dabei zur Seite aus. Unser Gebiet liegt über einer uralten Schwächezone in der Erdkruste, die sich bis zum Oberrhein hinzieht. Die Blöcke der Erdkruste kippen gegeneinander, um die größer werdende Fläche auszugleichen. So entstand ein Mosaik von nach Nordosten gekippten Schollen, die von tief reichenden Brüchen begrenzt werden.

Die bedeutendsten Brüche sind von Nordost nach Südwest der Viersener Sprung, der Rheindahlener und der Wegberger Sprung, der Rurrand-Peelrand-Sprung und die Feldbiss-Verwerfung. Kommt es zu einer ruckartigen Bewegung an diesen Bruchzonen, entsteht ein Erdbeben. Am frühen Morgen des 13. April 1992, gegen 3.20 Uhr, wurden viele Schlafende im Rheinland unsanft geweckt. Sie hörten zunächst ein singendes Geräusch, dann ein dumpfes Grollen, dann setzten Schwingungen ein, die etwa 15 Sekunden fühlbar anhielten. Selbst in Berlin, München und London wurde das Erdbeben noch verspürt, das auf der Richterskala den Wert von 5,9 erreichte. Sein Hypozentrum lag bei der Stadt Roermond in einer Tiefe von 18 Kilometern. Mehr als 30 Personen wurden durch herab fallende Dachziegel und Kaminteile verletzt, an vielen Gebäuden traten Risse in Putz und Mauerwerk auf. Am Kölner Dom stürzte eine 400 Kilogramm schwere Kreuzblume in die Tiefe und durchschlug 40 Meter tiefer das Dach eines Seitenschiffes. Insgesamt wurden 1300 Gebäude beschädigt. Die Ursache dieses stärksten Erdbebens seit 1756 war eine plötzliche Verschiebung des Peelrand-Sprungs in der Tiefe um ganze 50 Zentimeter.

(RP)
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