Uwe Schummer "Wir alle spüren, dass Hürden hoch sind"

Viersen · Der CDU-Bundestagsabgeordnete ist Obmann für Menschen mit Behinderung in der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion. Schummer ist außerdem NRW-Landesvorsitzender der Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung.

 Uwe Schummer.

Uwe Schummer.

Foto: schummer

Im Jahr 2006 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen beschlossen, besser bekannt als UN-Behindertenrechtskonvention. Sie trat im Jahr 2008 in Kraft und bindet auch Deutschland. Aber erst jetzt wird am Entwurf für das Bundesteilhabegesetz gearbeitet. Ist da nicht sehr viel Zeit verspielt worden?

 Menschen mit Handicap müssen oft Hürden überwinden. Inklusion gehört zu allen Bereichen, etwa im Sport, Hier Markus Rehm bei seinem Weltmeistersprung 2013 in Lyon.

Menschen mit Handicap müssen oft Hürden überwinden. Inklusion gehört zu allen Bereichen, etwa im Sport, Hier Markus Rehm bei seinem Weltmeistersprung 2013 in Lyon.

Foto: Ralf Kuckuck

Schummer Nach der Unterzeichnung der Konvention hat die Inklusion in Deutschland an Fahrt aufgenommen. Sie strebt die Teilhabe von Menschen mit und ohne Behinderungen in allen Facetten des Lebens an. So ein Paradigmenwechsel kann nicht von heute auf morgen umgesetzt werden. Er betrifft die Geburt, die Kita, Schule, Beruf und das selbst versorgende Leben bis hin zum Tod.

Warum ist der Prozess so zäh?

Schummer Es gibt Gewohnheiten und den Drang danach, vermeintliche Besitzstände zu wahren, oder schlicht die Haltung: Die sind doch alle wunderbar versorgt. Es gibt Regionen in Deutschland, da sind behinderte Menschen von ihrer Geburt bis zum Tod in allen Stationen auf ihrem gesamten Lebensweg isoliert. Das ist meist in abgelegenen Gegenden der Fall, beispielsweise in säkularisierten Klöstern. Hieraus sind eigene Dörfer entstanden. Niemand findet etwas dabei. Aber Inklusion fordert die Auflösung von Ab- und Ausgrenzung.

Wie lässt sie sich umsetzen?

Schummer Gesinnungs- und Zuständereform bedingen einander. Neues Denken, aber auch klare gesetzliche Regeln. Die Umsetzung der Konvention steht im Koalitionsvertrag. In zahllosen Arbeitsgruppen haben sich konkrete Ziele herauskristallisiert.

Was denn, zum Beispiel?

Schummer In Betrieben müssen Kompetenzen gestärkt werden, das gilt vor allem für die Schwerbehindertenvertretung. Wir haben 47 Prozent Frühverrentungen durch psychische Belastungen, Depressionen, Burn-out-Syndrom. Wir müssen diese Menschen aber in den Betrieben halten. Es geht nicht an, dass in Werkstätten für behinderte Menschen - WfbM - immer mehr Arbeitsplätze für psychisch belastete Mitarbeiter geschaffen werden. Der Bund stellt 150 Millionen Euro in einem Zeitraum von drei Jahren zur Verfügung, um Integrationsfirmen für psychisch Kranke aufzubauen. Wir benötigen ein Frühwarnsystem für Burnout-Fälle und ein Wiedereingliederungsmanagement direkt in Unternehmen.

Wie wird das finanziert?

Schummer Betriebe, die keine behinderten Menschen beschäftigen, zahlen bekanntlich eine Ausgleichsabgabe. Das Geld daraus reicht aber nicht, wir benötigen zusätzliche Bundesmittel.

Menschen mit Behinderungen werden weiterhin benachteiligt.

Schummer Ein Baustein ist die Novellierung des Behinderten-Gleichstellungsgesetzes. Es sieht die Bildung eines Kompetenzzentrums Barrierefreiheit vor. Die Aufgabe wird der Knappschaft in Essen übertragen, die Verbände des Behindertenrates finden sich im Beirat wieder, so dass sie mit im Boot sind.

Was macht das Kompetenzzentrum?

Schummer Es bündelt Kompetenzen auf möglichst allen relevanten Gebieten, die durch Dritte abgerufen werden können. Es sollen auch Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern aufgenommen werden. Die Bandbreite der Kunden reicht von Behörden über Unternehmen und Institutionen bis hin zu Privatpersonen. Vor allem Kommunen und Einrichtungen sollen beraten werden.

Wo macht sich Inklusion bemerkbar?

Schummer Bei der Förderung der ,Leichten Sprache'. Das können wir zunächst nur auf Bundesebene durchsetzen. Aber sie sollte in Ländern und Kommunen genutzt werden. Damit kommen wir nicht nur Menschen mit Behinderungen entgegen. Für viele Bürger sind bereits ihre Rentenbescheide unverständlich. Auch die KfW-Bank mit ihren Förderprogrammen wird durch Leichte Sprache barrierefrei gemacht. Im Gegenzug müssen Empfänger einer Förderung die ,Leichte Sprache' ebenfalls anwenden.

Stößt man mit solchen Vorhaben im Alltag auf Barrieren?

Schummer Ja, natürlich. Immer, wenn es um Rechtsgeschäfte geht, kommen Juristen mit weitreichenden Bedenken. Auch in Bildung und Forschung gibt es Widerstand. Daran muss gearbeitet werden. Deshalb werden nicht die Bescheide in ,Leichter Sprache' formuliert. Wir werden festlegen, dass bei jedem Bescheid einer Bundesbehörde eine Erläuterung in ,Leichter Sprache' beigefügt wird.

Was soll für Menschen mit Behinderung konkret noch erreicht werden?

Schummer Die Einkommens- und Vermögensgrenzen müssen von 2600 Euro deutlich hochgesetzt werden. Außerdem müssen Teilhabeleistungen aus der Fürsorge beziehungsweise der Sozialhilfe herausgenommen werden. Menschen mit Behinderungen dürfen nicht länger als Bittsteller behandelt werden. Das wird man sicherlich nicht in einem Schritt erreichen. In den Werkstätten muss das Arbeitsfördergeld dringend angehoben werden, die Rechte der Werkstatträte müssen gestärkt werden, und wir müssen endlich eine Durchlässigkeit im System durchsetzen. Für Unternehmen muss es sich lohnen, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen, etwa auch bei einer Auftragsvergabe. Außerdem müssen mehr Integrationsfirmen gegründet werden. Die Bedingungen des Budgets für Arbeit müssen im Sinne des behinderten Menschen verbessert werden.

Das klingt, als müsse das gesamte Sozialwesen umgekrempelt werden.

Schummer Das ist richtig. Es geht um einen Perspektivwechsel. Menschen mit Behinderung müssen künftig durch die Sozialbürokratie begleitet werden, und zwar so, dass Hindernisse beseitigt und nicht neu aufgetürmt werden. Wir alle spüren doch, dass die Hürden sehr hoch sind. Die Bedingungen und Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch müssen dringend verändert und angepasst werden. Wir öffnen jetzt eine Tür, lösen aber nicht alle Blockaden. Menschen mit Behinderungen wollen wir aus der Separierung herauslösen. Das erfordert eine Bewusstseinsbildung und eine andere Erfahrung im Umgang.

DIE FRAGEN STELLTE LUDGER PETERS

(RP)
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