Niederkrüchten. Wenn die Briten gehen

Niederkrüchten. · Die Gemeinde Niederkrüchten hat einen Brexit schon hinter sich. Eine Bestandsaufnahme

Wo einst gefeiert wurde, wuchert jetzt das Unkraut kniehoch. Still und verlassen liegt der früher auch bei Deutschen beliebte Pub "Little City" in Elmpt da, ist steinernes Zeugnis dessen, was der Brexit in Elmpt angerichtet hat, als knapp 8000 Briten die Gemeinde Niederkrüchten verließen.

Der Flughafen war ein enormer Wirtschaftsmotor. Schon beim Bau 1952/53 war er eine echte Jobmaschine: 5000 Arbeiter rodeten den Wald, bauten Wohnungen, Infrastrukturgebäude, Hangars und Bunker. Das kleine Elmpt konnte gar nicht so viele Arbeitskräfte aufbieten. Ein Großteil kam von außerhalb - darunter zahlreiche Fachkräfte, von denen sich viele im Dorf niederließen und zum Aufschwung beitrugen.

Dass die strukturschwache Gemeinde Niederkrüchten heute eine recht üppige Infrastruktur mit drei Sportanlagen, zwei Bädern und zwei großen Veranstaltungshallen ihr eigen nennt, hat nicht zuletzt mit den Briten zu tun. Fast 8000 - Soldaten samt Familien - lebten zu den Hochzeiten der Royal Air Force Anfang der 90er Jahre in Elmpt - auf dem Flughafen selbst oder in Häusern und Wohnungen im Ort - es war ein Dorf im Dorf. An Schlüsselzuweisungen für die innerorts lebenden Briten kassierte die Gemeinde bis zu drei Millionen D-Mark netto jährlich. 2015 betrug die inzwischen als Gaststreitkräftepauschale deklarierte Zuwendung immerhin noch 771.000 Euro, sagt Kämmerer Klaus Blech. Diese hübsche Einnahmequelle fällt nun ersatzlos weg. Weggefallen sind auch hunderte Arbeitsplätze: Über 600 Zivilbeschäftigte - Deutsche, Briten, Niederländer - verdienten auf dem Flughafen Lohn und Brot.

Der Abschied der Briten lief in zwei Wellen ab: Die zweite - das Goodbye der zahlenmäßig überschaubaren britischen Fernmelder Ende 2015 - war vergleichsweise harmlos. Die erste hingegen hatte eine enorme Wucht: Ende 2001 zog die Royal Air Force ab. Für die örtliche und regionale Wirtschaft bedeutete das herbe Einbußen. Denn die RAF vergab Aufträge für den nicht-militärischen Teil des Flughafenbetriebs - Wartung, Instandhaltung, Bau und Renovierung von Gebäuden, Müllabfuhr und einiges mehr - gern und großzügig an deutsche Firmen und Handwerksbetriebe aus der Region. Zudem waren 8000 Briten auch 8000 potenzielle Kunden für den örtlichen Einzelhandel. Die Kaufkraft, die mit dem Flughafen verbunden war, bezifferte die RAF 1996 bei Bekanntgabe ihres Abzugs auf 150 Millionen D-Mark - pro Jahr!

Die Elmpter Bäckerei Achten zum Beispiel lieferte täglich mehrere tausend Brötchen auf das Flughafengelände, erinnert sich Bäckermeister Norbert Achten. Zwei bis drei Vollzeit-Arbeitsplätze waren in seinem Betrieb direkt vom Großkunden RAF abhängig, schätzt Achten: "Jeder Einzelhändler im Ort hat von den Briten profitiert." Als Willi Houx 1964 den elterlichen Friseursalon auf der Hauptstraße übernahm, lag das Verhältnis zwischen deutschen und britischen Kunden bei 50 zu 50, erinnert sich dessen Sohn Frank, der das Geschäft heute führt.

Der Preis für den Wohlstand war allerdings hoch. Er wurde in Lebensqualität bezahlt: Denn der Fluglärm durch die vier auf dem Fliegerhorst stationierten Tornado-Staffeln (insgesamt 52 Maschinen) war oft unerträglich. Die Niederkrüchtener arrangierten sich mit den Begleitumständen und lernten damit zu leben, dass der Flughafen Fluch und Segen zugleich war.

Was bleibt - neben vielen Freundschaften und einer kapitalen Lücke im Gemeindehaushalt - nach dem Elmpter Brexit? Im Ort erinnert nicht mehr viel an die Briten. Die hässlichen Wohnblocks an der Dürer- und Menzelstraße - vom Volksmund Legoland getauft - wurden 2003 abgerissen. Dort ist das Neubaugebiet "Malerviertel" entstanden. Aus der früheren "Pre School" ist der Kindergarten "Unterm Regenbogen" geworden. Relikte der britischen Vergangenheit wie der Naafi-Shop und der Pub "Little City" sind noch da - leer und verlassen allerdings.

Und am 900 Hektar großen früheren Flughafengelände, auf dem derzeit Flüchtlinge untergebracht sind, hängen alle Hoffnungen: Hier sollen neben Natur und Golfplatz ein Leuchtturmprojekt für erneuerbare Energien und ein 150 Hektar großer Gewerbepark wachsen. Bis die Altlasten beseitigt, Kaufverhandlungen abgeschlossen, Altbauten abgerissen, Planungsverfahren abgewickelt sind, gibt es allerdings noch sehr viele sehr dicke Bretter zu bohren. Wenn das gelingt, könnte eine neue Jobmaschine entstehen.

(jo-s)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort