Viersen Viersens Stadtrat verlangt Akteneinsicht

Viersen · Die gewählten Volksvertreter machen von ihrem Recht Gebrauch, die Stadtverwaltung zu kontrollieren. Sie wollen Einsicht in Akten nehmen. Anlass ist der Fall eines gut integrierten Libanesen, dem die Stadt die Arbeitserlaubnis entzog

 Mohamad Sari sollte eigentlich zum 1. August in Süchteln eine Ausbildung zum Packmitteltechnologen beginnen. Doch die Ausländerbehörde entzog ihm wenige Tage vorher die Arbeitserlaubnis.

Mohamad Sari sollte eigentlich zum 1. August in Süchteln eine Ausbildung zum Packmitteltechnologen beginnen. Doch die Ausländerbehörde entzog ihm wenige Tage vorher die Arbeitserlaubnis.

Foto: Knappe

Es ist ein außergewöhnlicher Vorgang, der sich in der jüngsten Sitzung des Viersener Stadtrats ereignete: Die Ratsmitglieder wollen die Arbeit der Ausländerbehörde kontrollieren, werden dazu auch Einsicht in Akten nehmen.

In einem gemeinsamen Initiativantrag verliehen Politiker von Der Linken, SPD und Grünen ihrer Sorge Ausdruck, dass die Stadt Viersen einem jungen, gut integrierten Libanesen ohne Not die Arbeitserlaubnis entzogen hat. Statt selbst seine Miete zahlen zu können, ist der 29-jährige Mohamad Sari nun auf Grundsicherung angewiesen.

Saris Asylantrag wurde abgelehnt, er lebt als geduldete Person in Viersen. Die Ausländerbehörde hatte ihm vor Jahren die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gestattet - eine Ermessensentscheidung. Zum 1. August hatte Sari eine Ausbildungsstelle zum Packmitteltechnologen in einer Süchtelner Firma erhalten, für die er bereits arbeitete. Im Mai stellte er deshalb Antrag auf Ausbildungsduldung. Wenige Tage vor Ausbildungsbeginn aber entzog ihm die Viersener Ausländerbehörde die Arbeitserlaubnis wieder. Grund: Er sei seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen, einen Pass vorzulegen oder Passersatzpapiere zu besorgen.

Grundsätzlich sollen abgelehnte Asylbewerber Deutschland wieder verlassen; allerdings weigern sich manche Herkunftsländer, die dafür notwendigen Papiere auszustellen. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber im vergangenen Jahr die Ausbildungsduldung klarer gefasst: Sie ist grundsätzlich erwünscht, denn einerseits muss der Staat dann weniger Sozialausgaben tragen, zum anderen sind die Betroffenen damit nicht zum Nichtstun in einer Gruppenunterkunft verdammt.

Bürgermeisterin Sabine Anemüller (SPD) erklärte in der Ratssitzung, ihr seien juristisch die Hände gebunden, Mohamad Sari eine Ausbildungsduldung auszustellen. "Wenn ich könnte, würde ich. Es geht nicht. Punkt." Sie betonte, dass die Stadt generell durchaus Ausbildungsduldungen ausstelle: "Wir haben in Viersen 13 Jugendliche und junge Erwachsene in Ausbildung, die sich in einer ähnlichen Situation befinden." Fachbereichsleiter Norbert Dahmen ergänzte: "Hier bei diesem Fall sind Mitwirkungspflichten verletzt worden. Sowohl das Verwaltungsgericht als auch das Oberverwaltungsgericht haben unsere Vorgehensweise bestätigt. Den Gerichten lagen alle Akten zu dem Fall vor."

In der Tat hatte die Ausländerbehörde den 29-Jährigen mehrfach vergeblich aufgefordert, einen Pass vorzulegen. Britta Pietsch (Die Linke) entgegnete: "Am 11. Juli hat Herr Sari die Passersatz-Papiere sorgfältig ausgefüllt abgegeben. Er ist seiner Mitwirkungspflicht nachgekommen." Sie warf dem Fachbereichsleiter Falschaussage vor: "In der Vorlage zu diesem Tagesordnungspunkt schreiben Sie, das Oberverwaltungsgericht Münster habe Ende August bestätigt, ,dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausbildungsduldung nicht vorliegen'. Das trifft aber nicht zu. Sie lagen ja seit dem 11. Juli vor." Und Christoph Saßen (Die Linke) betonte: "Auch vorher ist Herr Sari durchaus seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen. Er ist zweimal nach Berlin zur libanesischen Botschaft gefahren, um sich dort einen Pass zu besorgen - dort hat man ihm mitgeteilt, dass der Antrag nicht aufgenommen werde."

Nach offiziellen Angaben des Bundesinnenministeriums ist die Kooperation der Auslandsvertretungen oft mangelhaft. Vor allem die Ausstellung eines Passes oder von Ersatzpapieren sei bei mehreren Ländern problematisch. Zu diesen Ländern zählt auch Libanon.

Womöglich wurde Sari seine Reise nach Berlin zum Verhängnis: Denn während er am 13. Juni bei der libanesischen Botschaft den Antrag stellte, soll die Viersener Stadtverwaltung ihm eine Bescheinigung zugesichert haben, dass er eine dreijährige Ausbildungsduldung erhalten würde. Sari habe sie aber nicht abgeholt.

Britta Pietsch warf Dahmen bei einem weiteren Punkt vor, die Ratspolitiker zu täuschen. So schrieb der Fachbereichsleiter in der Verwaltungsvorlage: "Bei der Erteilung einer Ausbildungsduldung hat die Verwaltung ... keinen Ermessensspielraum." Allerdings heißt es in den Allgemeinen Anwendungshinweisen des Bundesinnenministeriumsn zur Erteilung einer Ausbildungsduldung ("in der Regel zugunsten des Ausländers") wörtlich: "Gleichwohl ist das Ermessen auch in diesem Fall nicht automatisch auf Null reduziert." Dabei bezieht sich der Text auf das Ermessen der Behörden, eine Ausbildungsduldung auch verweigern zu können. Pietsch: "Von ,Müssen' ist da nirgendwo die Rede." Die Verwaltung habe daher sehr wohl einen Ermessensspielraum gehabt.

Dahmen zeigte einen Weg auf, wie Sari doch noch an die Ausbildungsduldung kommen könne: Er müsse in den Libanon ausreisen, bei der deutschen Botschaft einen Antrag auf Ausbildungsvisum stellen und dann wieder ins Bundesgebiet einreisen. "Abwegig", nannte das Grünen-Ratsfrau Maria Dittrich. "Irritierend", nannte SPD-Fraktionschef Manuel Garcia Limia, dass die Verwaltung erkläre, Sari habe Mitwirkungspflichten verletzt.

Nun werden Ratsmitglieder von CDU, SPD, Grünen, Linken und FürVie sich die Akten anschauen. Ein Termin soll in den nächsten Tagen vereinbart werden.

(mrö)
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