Kreis Viersen Verbrechen werden erforscht

Kreis Viersen · Seit 29 Jahren gibt es einen internationalen Arbeitskreis, der die Greueltaten, die Psychiater im Namen der nationalsozialistischen Ideologie verübten, aufarbeitet. Experten treffen sich ab heute in Mönchengladbach.

 Eine Gedenkstätte befindet sich auf dem Gelände der ehemaligen "Kinderfachabteilung" der rheinischen Psychiatrie in Waldniel-Hostert. Sie ist morgen Ziel einer Exkursion des internationalen Forscher-Arbeitskreises.

Eine Gedenkstätte befindet sich auf dem Gelände der ehemaligen "Kinderfachabteilung" der rheinischen Psychiatrie in Waldniel-Hostert. Sie ist morgen Ziel einer Exkursion des internationalen Forscher-Arbeitskreises.

Foto: BUSCH

Ein Arbeitskreis von Experten widmet sich einem beklemmenden Thema: Er erforscht das mörderische Vernichtungsprogramm der Nationalsozialisten, die unter dem makabren Titel "Euthanasie" (schönes Sterben) die Selektion von "lebenswertem und lebensunwertem Leben" betrieben. Schuldig gemacht am Tod von deutschlandweit mehr als 250 000 Menschen mit geistiger Behinderung haben sich viele Ärzte, Pfleger und anderes Personal in psychiatrischen "Anstalten".

Dass später in der jungen Bundesrepublik nur ganz wenige dieser Mörder verurteilt wurden, muss von Angehörigen und nachfolgenden Generationen als Hohn empfunden werden.

Seit 1983 befasst sich der Arbeitskreis (AK) zur Erforschung der NS-"Euthanasie" mit diesem traurigen Kapitel der Geschichte. Mitglied im AK ist auch Dr. Friedrich Leidinger, Vizedirektor der Viersener LVR-Klinik. "Warum wir uns damit befassen?", fragt Leidinger und gibt selbst die Antwort: "Gehen Sie davon aus, dass es unter Ihren Lesern mehrere Hundert, vielleicht sogar 1000 Menschen gibt, in deren Familie ein Mordopfer im Zuge der Euthanasie zu beklagen ist." Manche Nachkommen wüssten indes nicht, unter welch grausigen Umständen ein behinderter Angehöriger ihrer Familie unter der NS-Terrorherrschaft ums Leben kam.

Tötungsanstalt in Waldniel-Hostert

Leidinger nennt als einen der Haupttäter den Arzt Dr. Georg Renno, der kurze Zeit in der ehemaligen "Kinderfachabteilung" Waldniel-Hostert tätig war, einer Tötungsanstalt für behinderte Kinder, die 1938 bis 1945 als Dépendance der Provinzial-Heilanstalt Süchteln firmierte. Renno, so Leidinger, habe persönlich die Ermordung von 18 000 Behinderten zu verantworten gehabt — "er war einer der schlimmsten Euthanasie-Mörder".

Heutzutage kümmert sich der Landschaftsverband Rheinland (LVR) in seinen neun psychiatrischen Kliniken um diese Patientengruppe. Über seine Kliniken in Mönchengladbach und Viersen beteiligt sich der LVR an der Veranstaltung, die den Arbeitskreis und seine gut 350 Mitglieder sowie Besucher ab heute bis Sonntag, 22. April, in die Gladbacher LVR-Klinik führt.

Die Tötungsmaschinerie der Nazis wütete in speziell dafür ausgerüsteten Lagern, wo Behinderte mitels Kohlenmonoxid vergast oder mit der Giftspritze ermordet wurden. In Hostert seien 90 Todesfälle beurkundet, so Leidinger.

Mit Ende des Weltkriegs sei das Thema nicht erledigt, betont Leidinger. Zumal es bis in die 1980er-Jahre hinein menschliches Versagen in der Psychiatrie gegeben habe. Bis 1969 der Bundestag eine Enquête-Kommission einsetzte, um gegen den "Bankrott der Psychiatrie" zu steuern und Menschenrechtsverletzungen abzustellen. Die Reihe der Referate eröffnet heute, 19 Uhr, der Bielefelder Historiker Dr. Hans-Walter Schmuhl mit seinem Vortrag "Walter Creutz und die NS-,Euthanasie'" in der Citykirche in Mönchengladbach.

(RP/rl)
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