Kind in Viersen getötet Partner durfte nicht mit Luca allein sein

Viersen · Ein Gutachter hat fürs Amtsgericht Viersen beurteilt, dass der Stiefvater für den Fünfjährigen keine konkrete Gefahr gewesen sei. Ein ehemaliger Familienrichter fordert eine bessere Ausbildung für Richter und Gutachter.

 Vor dem Haus, in dem Luca lebte, legen Trauernde Kerzen, Blumen und Stofftiere ab.

Vor dem Haus, in dem Luca lebte, legen Trauernde Kerzen, Blumen und Stofftiere ab.

Foto: Busch, Franz-Heinrich sen. (bsen

Es wäre der dritte Termin gewesen, an dem es vor dem Viersener Amtsgericht um den fünfjährigen Luca, die Erziehungsfähigkeit seiner Mutter und die Gefährdung Lucas durch ihren Lebensgefährten gegangen wäre. Eigentlich hätte das Sorgerechtsverfahren an diesem Tag beendet und vereinbart werden sollen, wie die Mutter mit einer Familienhilfe weiter unterstützt werden kann. Doch die 24-Jährige erschien am Montagmorgen und teilte mit, ihr Sohn sei tot. "Alle waren tief betroffen", sagt Gerichtssprecher Jan-Philip Schreiber. "Schließlich ging es im Verfahren darum, die Familienverhältnisse zu konsolidieren und die beste Lösung für das Kind zu finden."

Der Lebensgefährte (26) ist dringend tatverdächtig, den Jungen mehrfach misshandelt zu haben und seinen Tod am vergangenen Samstag durch Würgen und stumpfe Gewalteinwirkung gegen Kopf und Bauch herbeigeführt zu haben. Dem Jugendamt war die Familie bekannt. Dritte hatten auf die Missstände hingewiesen, daraufhin war die Behörde tätig geworden. Anfang des Jahres wurde Luca zeitweise in Obhut genommen. Bei einem familiengerichtlichen Verfahren sollte dann im Februar mit der Mutter und einem Vertreter des Jugendamts "die Situation gemeinsam aufgeklärt und mit der Familie ein Weg gefunden werden", sagt der Gerichtssprecher. Die 24-Jährige sei sehr kooperativ gewesen. Und es sei nicht darum gegangen, ihr das Kind dauerhaft wegzunehmen.

Grundlage dafür, dass Luca wieder nach Hause konnte, war aber laut Gericht, dass der 26-Jährige nicht mehr im selben Haushalt lebte. Die Mutter hatte berichtet, sie hätten sich getrennt und er sei ausgezogen. Zudem habe eine Familienhelferin die Mutter sechs Stunden pro Woche unterstützt. Wenn es Kontakt mit dem Stiefvater geben sollte, so nur in Begleitung der Mutter. "Er durfte nicht allein mit Luca sein", betont Schreiber. Und der Junge sollte regelmäßig in die Kita gehen.

Nach rund zwei Monaten jedoch hatte es wieder Berichte von Dritten gegeben, die darauf hindeuteten, dass die Missstände nicht behoben waren. Im April kam es zu einem weiteren Gerichtstermin: Das Gericht schaltete einen Gutachter ein, der nach Gesprächen mit der Mutter, dem leiblichen Vater, dem Stiefvater, Großeltern und Erziehern zu dem Schluss kam, dass es für "eine Gefährdungslage durch den Stiefvater keine konkreten Anhaltspunkte" gegeben habe und bescheinigte die Erziehungsfähigkeit der Mutter. Er empfahl aber auch, die Familienhilfe beizubehalten. Das Gutachten war der Familie vor dem letzten Termin schon bekannt. Nachbarn berichteten, der 26-Jährige habe wieder bei der jungen Mutter gelebt.

Laut Gericht handelt es sich bei dem Gutachter um einen erfahrenen Sachverständigen, einen Diplom-Psychologen, der im ganzen Bereich des Landgerichts Mönchengladbach eingesetzt werde. "Das Gericht entscheidet sich für einen Gutachter, der aufgrund seiner Fähigkeit in der Lage ist, die Situation zu beurteilen", sagt Schreiber. "Eine Empfehlung wird aber niemals ungeprüft übernommen."

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Foto: Busch

Der Krefelder Elmar Bergmann war 30 Jahre Familienrichter und arbeitet seit seiner Pensionierung als Anwalt für Familienrecht. Er kritisiert, dass Familienrichter nicht ausreichend ausgebildet seien. "In der juristischen Ausbildung kommt das Familienrecht kaum vor", bemängelt er. Und wenn das Handwerkszeug fehle, besorge sich ein Richter den Sachverstand von außen: den Gutachter. "Sachverständig ist dann derjenige, den der Richter als sachverständig ansieht", kritisiert Bergmann. In der Regel hätten Gutachter ein Psychologiestudium abgeschlossen, er habe allerdings auch schon Fälle gehabt, in denen eine Erzieherin ein Gutachten verfasst hatte. Mittlerweile biete der Bund deutscher Psychologen eine Fach-Fortbildung in Rechtspsychologie an, deren Teilnehmer seien in seinen Augen wesentlich besser in der Begutachtung.

"Sozialarbeiter sind unterbesetzt"

Aber auch für Richter gebe es zu wenig Qualifizierungskurse. "Ein Familienrechtsanwalt muss sich zwangsweise fortbilden, ein Richter muss gar nichts", betont der Krefelder. Mitunter gäben zweifelhafte Gutachter Empfehlungen - "und der Richter übernimmt sie dankbar". Laut Einschätzung von Experten folgen Familienrichter in mehr als 90 Prozent der Fälle den Empfehlungen der Gutachter. Bergmann betont aber auch die schwierige Rolle des Jugendamts. "Die Herausnahme eines Kindes ist immer die letzte Möglichkeit." Stattdessen müsse mehr Personal in die Familien geschickt werden, um Eltern zu helfen. "Die Sozialarbeiter sind personell deutlich unterbesetzt", bemängelt der Krefelder.

Luca ist nicht das einzige Kind seiner Mutter. Die 24-Jährige hat zudem Mitte September ein Mädchen zur Welt gebracht. Noch im Krankenhaus wurde es in Obhut genommen und soll in eine Einrichtung gebracht worden sein. Dort soll es bis zu fünf Monate bleiben können. Die Mutter möchte ihr Kind nach Informationen unserer Redaktionen allerdings zurückhaben.

(RP)
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