Serie Auf Einen Kaffee In ... (1) Leuth: Wo man ruhig lebt und feste feiert

Viersen · Der Bäcker, die Kirche, der Sportverein ... Die Nettetaler kennen ihre Ortsteile. Aber wie würde eine fremde Person sie wahrnehmen, wenn sie dort auf einen Kaffee hält? Aus dieser Perspektive stellen wir Nettetals Stadtteile vor. Heute: Leuth.

 Auf das neue Wohngebiet am Austalsweg baut Leuth seine Zukunft.

Auf das neue Wohngebiet am Austalsweg baut Leuth seine Zukunft.

Foto: Busch, Franz-Heinrich sen. (bsen)

leuth Idyllisch ist gar kein Ausdruck! Rundum um die Kirche St. Lambertus scharen sich die hübschen historischen Backsteinhäuser. Die eisernen Zahlen 1664 dokumentieren die Entstehung des Pfarrhauses. Der Ortskern ist denkmalgeschützt, die Gemeinde "staatlich anerkannter Erholungsort". Nur der Petershof ist als zentralerPlatz für ein Dorf im Grünen ziemlich grau asphaltiert. Die ersten Frühblüher recken ihre Blätter aus der Erde. Die Vorgärten sind liebevoll dekoriert. Der kalte Wind pfeift noch etwas zu kräftig zwischen den Backsteinmauern.

 Ruth Dückers ist in Leuth geboren und aufgewachsen.

Ruth Dückers ist in Leuth geboren und aufgewachsen.

Foto: Busch, Franz-Heinrich sen. (bsen)

Ein Rentner geht mit seinem Hund Gassi. Fünf Minuten später sieht man tatsächlich wieder einen Menschen, der sich vor die Tür wagt. Eine Frau geht Brötchen holen. Wo? Bei Bäcker Dückers natürlich. Der Leuther betreibt seit einer gefühlten Ewigkeit eine kleine Bäckerei in Leuth. Die Tasse Kaffee gehört nicht zu Dückers Sortiment. Keine Nachfrage. Andere Geschäfte - geschweige denn Bäcker - gibt es nicht mehr. Die Drogerie Schlecker gehörte zu den letzten, die 2012 die Segel strich. Am Petershof hält noch die Volksbank die Stellung, die Sparkasse hat ihre Angestellten längst durch Computer ersetzt, ein Selbstbedienungscenter tut es auch. Leuth ist hübsch, aber abgelegen.

 Heinz Drack hat mit seinen Mitarbeiterinnen ein Steuerbüro eingerichtet.

Heinz Drack hat mit seinen Mitarbeiterinnen ein Steuerbüro eingerichtet.

Foto: Busch, Franz-Heinrich sen. (bsen)

"Wer hier wohnt, muss eh fahren", sagt Ruth Dückers lachend, die an dem Morgen Dienst die Brötchen verkauft. "Bis zur City sind es fünf Minuten." Bis Kaldenkirchen, also. Die Tochter des Bäckermeisters erklärt schnell und schnörkellos, warum sie in in Leuth wohnt: "Ich bin hier geboren", sagt sie. Ihre Familie wohnt in Leuth. "Aber es ziehen schon viele jüngere Leute her", sagt sie. Schließlich kann man Leuth ruhig und günstig wohnen, die Umgebung ist landschaftlich reizvoll mit den Krickenbecker Seen und der Venloer Heide vor der Haustür, die Autobahnanbindung an die A 40 und A 61 gut - was sich bisher auch ein erotisches Etablissement am Ortsrand zu Nutze machte.

 Lebt seit 80 Jahren in Leuth: Heinz Lenßen vom Leuther Hof.

Lebt seit 80 Jahren in Leuth: Heinz Lenßen vom Leuther Hof.

Foto: Busch, Franz-Heinrich sen. (bsen)

Aber auch arbeiten kann man in Leuth ruhig. Vermögensberater Heinz Drack hat dort vor fünf Jahren sein Büro bezogen. Er schätzt die gute Autobahnanbindung, die ruhige Lage und die günstigen Parkmöglichkeiten für seine Kunden. "Es ist sehr persönlich hier, eine angenehme Atmosphere", sagt er.

 Historisches Ensemble: Der Neyenhof (eigentlich Neuwenhof), die Kirchgasse mit St. Lambertus und die Mauer mit dem Giebel des Pfarrhauses.

Historisches Ensemble: Der Neyenhof (eigentlich Neuwenhof), die Kirchgasse mit St. Lambertus und die Mauer mit dem Giebel des Pfarrhauses.

Foto: Busch, Franz-Heinrich sen. (bsen)

Das Leben von Leuth spielt sich offenbar nicht auf der Straße ab - außer am Donnerstag vor Karneval. "Dann erwacht das Dort zum Leben. Leuth ist weit über die Ortsgrenzen für seine Altweiberfeier bekannt. Das halbe Ruhrgebiet kommt dann nach Leuth", erzählt Dückers.

 Noch vor der Neugliederung 1970 ließen die Gemeindeväter auf der Heronger Straße Japanische Kirschbäume pflanzen.

Noch vor der Neugliederung 1970 ließen die Gemeindeväter auf der Heronger Straße Japanische Kirschbäume pflanzen.

Foto: Franz-Heinrich Busch

Seit fast einem Jahrhundert feiern die rebellischen Leuther ihren Karneval eine Woche vor dem üblichen Termin. Die Gemeinde, die bis 1928 zum Kreis Geldern und damit zum Bistum Münster gehörte, schlug damit der gestrengen Frömmigkeit ein Schnippchen. Einige Pfarrer hatten das Ewige Gebet auf die Karnevalszeit gelegt, um die "zügellose" Narretei zu unterbinden. Die Leuther feiern seither kurzerhand eine Woche vorher.

Entsprechend lebhaft geht es daher bis heute beim "Löther Rieser" zu. Der Vereinsbaum bezeugt, dass der kleinste Ortsteil Nettetals über ein intaktes, soziales Dorfleben verfügt: Pfarrorchester, Feuerwehr, Heimatfreunde, Schützen-, Sport-, Taubenzüchter- und Karnevalsverein. "Die meisten Menschen sieht man am Samstag auf der Straße", sagt Dückers.

"Wir sind schon ein Schlafdorf geworden. Kaum noch Leben auf der Straße", räumt Heinz Lenßen, Seniorchef des Leuther Hofs. Seit 80 Jahren lebt er in Leuth. "Die Alten kennt man", sagt er. Sie treffen sich sonntags nach dem Hochamt ("Noa de Hommes") im Leuther Hof seit über 50 Jahren zum Stammtisch. "Es werden immer weniger, und viele der Neuen kommen nicht und sind leider auch ziemlich stumm", beklagt Lenßen. Ab Frühling kommen auch wieder Radwanderer auf Kaffee und Kuchen vorbei.

"Zur Kirschblüte ab Ende April wird es hier richtig schön", sagt der Lenßen. Die hübschen historischen Häuser, die niederrheinische Landschaft. Idylle ist gar kein Ausdruck.

(RP)
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