Viersen Kaltes Entsetzen in der Festhalle

Viersen · Er schreit, er stottert, er rast: Matthias Brandt, einer der profiliertesten und beliebtesten Schauspieler Deutschlands, liest auf der Bühne aus dem Groschenroman, der die Vorlage für den Film "Psycho" lieferte. Schrecklich gut!

Meist ist es mucksmäuschenstill im Publikum, hier und da ein (befreites) Lachen, häufiger aber ein plötzliches Aufschrecken. Mehr als 90 Minuten fesseln Matthias Brandt und Jens Thomas das Publikum mit "kaltem Entsetzen". Ein Entsetzen, das sich an der Garderobe nicht so leicht gegen den Mantel eintauschen lässt.

Wer kennt sie nicht, die Duschszene aus dem Hitchcock-Thriller "Psycho" - 57 Jahre alt, hat sie sich in das Gehirn von Generationen von Kinogängern eingebrannt. Aber auch Künstler greifen immer wieder auf die unverwechselbare Szene zurück.

Hitchcock hat mit seinem Film ein Meisterwerk geschaffen. Basis des Films ist das Buch von Robert Bloch aus dem Jahr 1959. Und das liegt der Lesung zugrunde, die Schauspieler und Hörbuchsprecher Matthias Brandt gemeinsam mit dem Sänger und Pianisten Jens Thomas auf der Festhallenbühne inszeniert.

Es ist wirklich ein außergewöhnliches Programm, das die beiden Künstler entwickelt haben. Ausschließlich mit ihren Stimmen, im Sprechen wie im Gesang, und dem Spiel mit und auf dem Klavier lassen sie in ununterbrochener Folge Bilder im Kopf der Zuhörer entstehen, die den Film, den viele sicher gesehen haben, neu entstehen lassen: in deutlichen Bildern, in Schwarz und Weiß und einer kleinen, aber nicht unbedeutenden Menge Rot.

Norman Bates, der Psychopath mit mehr als einer Störung, der sich dissoziiert hat und zugleich als Mutter und Sohn auftritt, der ein Leben lang gegängelt und gedemütigt ist und der in Gestalt seiner Mutter eine junge Frau unter der Dusche tötet - er wird auf der Bühne überaus lebendig. Matthias Brandt gibt ihm alle Stimmen, die nötig sind, seine Zerrissenheit in die Welt zu schreien, seine multiplen Persönlichkeiten zu zeigen, die so sehr leiden. Brandt wechselt von stillen sachlichen Tönen zu stotternd-hilflosen und dann wieder zur kreischenden, diabolisch lachenden Stimme - und das in fließenden Übergängen.

Jens Thomas interpretiert die literarischen Vorgänge mit Gesang und Klavier. Dabei wird der Flügel konventionell eingesetzt, es wird aber im Klangkörper gezupft, geklopft, geschlagen. Thomas' Stimme, die mühelos in höchste Tonstufen wechselt, ist nicht einfach nur Gesang: Er flüstert ins Mikrophon, er erzeugt Töne ohne Stimme und Melodie, er klingt gruselig, wahnsinnig, überspannt - und das alles meist ohne Worte.

Die Vorstellung der Künstler endet in einer Kakophonie von Worten, Tönen, Stimmen - das Publikum antwortet mit einer Kakophonie von Applaus - mit Händen und Füßen.

(b-r)
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