Viersen Jeder Stein ist ein eigenes Bild

Viersen · In der Galerie im Park gibt Anja Schrey einen Überblick über ihre künstlerischen Ideen. Dazu gehört das Porträt einer Ziegelwand.

 Die gemalte rote Ziegelwand wirkt täuschend echt. Geht der Betrachter näher an das Bild, verliert sich der Blick vom Ganzen weg auf das Detail.

Die gemalte rote Ziegelwand wirkt täuschend echt. Geht der Betrachter näher an das Bild, verliert sich der Blick vom Ganzen weg auf das Detail.

Foto: Busch

Schon die Einladungskarte ist außergewöhnlich und ansprechend: Der Empfänger hält eine Hauswand in den Händen, die sich leicht nach hinten rechts zu neigen scheint. Ohne Rahmen drängt die Ziegelwand förmlich aus der Karte und macht neugierig auf mehr.

Den Wunsch auf mehr kann ein Besuch der Ausstellung "Heim" mit Zeichnungen, Bildern und Videoarbeiten von Anja Schrey erfüllen, die seit Sonntag in der Städtischen Galerie in Viersen zu sehen ist. "Heim" ist im Zusammenhang mit Anja Schrey und den gezeigten Werken in mehrfacher Bedeutung zu verstehen. Anja Schrey kehrt (vorübergehend) heim, denn die 1967 in Viersen-Süchteln geborene Künstlerin lebt und arbeitet in Berlin und zeigt in Viersen einen aufschlussreichen, retrospektivischen Überblick über ihre künstlerischen Ideen. Und "Heim" ist selbstverständlich assoziiert mit Hauswänden aus Ziegeln, die ein Heim umschließen, das ebenso heim-elig wie un-heim-lich sein kann.

Mit einem Überraschungseffekt sieht sich der Besucher gleich beim Betreten der Galerie konfrontiert, wenn er sich in den Raum nach links wendet: Dort, wunderbar in der Flucht des Durchgangs präsentiert, hängt eine gemalte rote Ziegelwand. Täuschend echt. Verblüffend echt. Das wurde vermutlich schon einhundert Mal über eine gemalte Hauswand von Anja Schrey gesagt, aber es muss erneut erwähnt werden. Auch wenn es für die Künstlerin gar nicht um die Illusion von einer Wand mit und ohne (zugemauerten) Fenstern geht. Für Anja Schrey ist eine Ziegelhauswand - die sie übrigens nur in ihrer niederrheinischen Heimat findet - ein Anlass für Malerei. Nicht mehr und nicht weniger. Ein Anlass für eine Malerei, die - bei aller Realität und Illusion - abstrakt ist. Oder während der Betrachtung abstrakt wird. Denn geht der Betrachter näher an das Bild, dann verliert sich der Blick vom Ganzen weg auf das Detail, verfließen die einzelnen Ziegel zu einer gegenstandslosen Malerei von rötlichen, sehr individuellen Feldern, die voneinander durch Streifen getrennt sind. Tritt er dann wieder einige Schritte zurück, ist sie wieder da: die Illusion einer Wand an der Wand. Das sinnlich-lebendige Porträt einer Ziegelwand, in der jeder Stein ein eigenes Bild ist.

Die Wände entstehen nach fotografischen Vorlagen. Der Malvorgang über eine große Zahl von Schichten sei meditativ, so Schrey. Der Betrachtungsvorgang genauso.

Die Wände wirken wie Porträts. Die in ihrer Detailtreue an Fotografien erinnernden Zeichnungen von Händen porträtieren ebenso den Menschen wie es die "Liegenden" (oder "Schwebenden"?) tun - auf ungewöhnliche Weise natürlich. Und wenn man die Idee des Porträts auf die Spitze treiben möchte, ist sogar das "Hanky" genannte 245 mal 245 Zentimeter große Bild eines Taschentuches ein Porträt - des Benutzers. Eine sehenswerte Ausstellung! Übrigens sollte man es auf keinen Fall versäumen, die Damentoilette zu benutzen - eine der beiden ist für alle Besucher geöffnet.

(b-r)
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