Faramarz Madjlessi "Feuchte AMD ist extrem aggressiv"

Viersen · Immer mehr Senioren leiden an altersbedingter Makuladegeneration (AMD). Sie führt unbehandelt zu Erblindung. Spritzen ins Auge können Patienten helfen, weiterhin zu sehen und so möglichst lange selbstständig zu bleiben

 Faramarz Madjlessi zählt in seiner Praxis immer mehr Patienten mit Makuladegeneration. Wer verzerrt sieht, sollte sofort zum Arzt gehen, sagt er.

Faramarz Madjlessi zählt in seiner Praxis immer mehr Patienten mit Makuladegeneration. Wer verzerrt sieht, sollte sofort zum Arzt gehen, sagt er.

Foto: Busch

Kreis Viersen Der Berufsverband deutscher Augenärzte warnt: Immer mehr Menschen erkranken in Deutschland an der altersbedingten Makuladegeneration (AMD). Bundesweit leiden rund 4,5 Millionen Menschen an der Erkrankung. Noch nehmen viel zu wenige Senioren den jährlichen Augen-Check wahr, darauf weisen aktuell der Verband, AMD-Netz, der deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband, die Ophthalmologische Gesellschaft und die Selbsthilfeorganisation Pro Retina hin. Seit zehn Jahren gibt es eine Therapie gegen die aggressive Form der Erkrankung durch Injektionen ins Auge. Faramarz Madjlessi, Chirurg am Augenzentrum in Dülken, erklärt, wie AMD entsteht und wie die Therapie funktioniert.

Deutschlandweit sind etwa 4,5 Millionen Menschen von AMD betroffen, die Zahl steigt. Spüren Sie das auch in Ihrer Praxis?

Faramarz Madjlessi Allerdings. Vor zehn Jahren, als wir mit der Therapie durch Spritzen begannen, hatten wir etwa 50 Behandlungsfälle im Jahr. Heute sind es etwa 3000. Das liegt aber auch daran, dass die Therapie in der Regel ein Leben lang fortgeführt werden muss, die Leute kommen also immer wieder her. Und da es auch immer wieder Neuerkrankungen gibt, steigt die Zahl.

Wie entsteht AMD?

Madjlessi Das ist eine Erscheinung des Alters, AMD ist eigentlich ein Zellenschwund. Es gibt zwei Varianten: die trockene und die feuchte AMD. Bei der trockenen Variante löst sich die Netzhaut ganz langsam auf. Es können Jahrzehnte vergehen. Anders ist das bei feuchter AMD: Sie ist extrem aggressiv, schlägt innerhalb von einigen Wochen oder Monaten zu.

Wenn das nicht behandelt wird, was passiert dann?

Madjlessi Sie werden blind. Das heißt nicht, dass Sie gar nichts mehr sehen. Sie stehen nicht im Dunkeln, Sie können Ihr Umfeld erkennen. Aber Sie sehen in der Mitte des Auges nichts mehr, denn AMD entsteht immer in der Mitte der Netzhaut. Sie können also nicht mehr lesen, keine Handarbeiten mehr machen, nicht mehr Autofahren. Das ist schlimm, denn das sind die wichtigsten Dinge für die Lebensqualität vieler Leute.

Woran merke ich denn, dass ich vielleicht an AMD erkrankt bin?

Madjlessi Sie sehen verzerrt. Gerade Dinge sehen Sie krumm, gestaucht oder gedehnt. Das ist bei allen Erkrankungen der Makula, also der schärfsten Stelle des Sehens in der Netzhaut, so - aber bei AMD ist es besonders ausgeprägt. Manche Leute nehmen diese Verzerrung aber gar nicht wahr. Man hat ja zwei Augen, und das Gehirn greift auch korrigierend ein. So mancher merkt erst, dass etwas nicht stimmt, wenn auch das zweite Auge betroffen ist.

Wie behandelt man das?

Madjlessi Durch Injektionen ins Auge. Unter der Makula entstehen Blutschwämmchen, neue Gefäße, aus denen Flüssigkeit austritt. Diese Gefäße führen zu Veränderungen der Netzhaut, so dass man schlechter sehen kann. Nun muss man wissen, dass es im Körper Botenstoffe gibt, die das Wachstum von Gefäßen anregen. 2005 spritzte ein Arzt in den USA Patienten ein Präparat, das hergestellt wurde, um diesen Botenstoff zu hemmen. Eigentlich war das Präparat für die Krebstherapie entwickelt worden. Doch es funktioniert auch, um das Gefäßwachstum im Auge zu hemmen. Seitdem hat sich die Therapie rasant verbreitet.

Tut das weh?

Madjlessi Ein bisschen schon, ja. Die Spritze geht ins Auge, und es wird unter OP-Bedingungen betäubt. Die Vorstellung, eine Spritze ins Auge zu bekommen, ist schlimmer als die Spritze an sich. Die Patienten reagieren unterschiedlich darauf. Aber der Eingriff dauert nicht lange, etwa zehn Minuten. Die Vor- und Nachbereitung ist länger.

Sie sagten, die Patienten müssten immer wieder kommen. Wie oft?

Madjlessi Sie bekommen alle vier Wochen eine Spritze, und zwar drei Mal. Dann wird eine optische Kohärenz-Tomographie der Netzhaut angefertigt, um zu sehen, wie sich die Gefäße entwickelt haben. Dieses Bild wird alle vier Wochen gemacht. Und wenn man sieht, dass sich wieder Flüssigkeit in der Netzhaut bildet, spritzt man wieder. Dieses Verfahren muss man ein Leben lang durchführen, wenn man die Sehfähigkeit erhalten will. Hinzu kommt, dass bei solchen Eingriffen ein Infektionsrisiko besteht. Das kommt bei einem von 2000 Eingriffen vor. Also muss der Patient drei Tage nach der Injektion und eine Woche später noch einmal zur Kontrolle zum Arzt.

Kann ich für die Spritze mit dem Auto zum Arzt fahren oder sollte ich mich bringen lassen?

Madjlessi Unbedingt bringen lassen oder den öffentlichen Nahverkehr nutzen. Zum Glück gibt es inzwischen flächendeckend Augenchirurgen oder Augenärzte mit OP, die den Eingriff machen. Denn die Patienten wollen wegen der vielen Arzttermine nicht weit fahren. Unser Augenzentrum ist zwar das einzige im Kreis Viersen, in dem man die Injektionen bekommen kann. Aber auch die Augenärzte, die nicht spritzen, können sich für die Nachbehandlung bei der kassenärztlichen Vereinigung mit der entsprechenden Qualifikation registrieren lassen. Das machen die meisten Augenärzte im Kreis auch schon. Viele Kollegen haben auch die Möglichkeit, die Tomographie zu machen, und schicken dann die Patienten nur für die Injektion zu uns.

Können Sie nach zehn Jahren eine erste Bilanz ziehen?

Madjlessi AMD ist für die Augenheilkunde die Herausforderung der alternden Gesellschaft, und die Therapie hat eine revolutionäre Entwicklung genommen. Es gibt sehr, sehr wenige Patienten, die man nicht mehr behandeln muss, weil sie stabil bleiben. Und es gibt sehr wenige, die man nicht mehr behandeln kann, weil sich der Verlauf ungünstig entwickelt. 80 bis 90 Prozent der Patienten lassen sich durch die Therapie stabil halten. Wir haben Patienten, die seit zehn Jahren zu uns kommen, die lesen, Auto fahren und sehr glücklich sind.

BIRGITTA RONGE FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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