Brüggen Ein Geburtstagsgeschenk mit 750 Seiten

Brüggen · Die Aufarbeitung der Geschichte Brachts ist das größte Geschenk, das die Burggemeinde dem Dorf zur Feier des 900-jährigen Bestehens im kommenden Jahr machen konnte. Gestern wurde dieses ganz besondere Geschenk vorgestellt.

 Die Autoren mit Bürgermeister Frank Gellen im Herzen des Dorfes - hinten im Bild die evangelische Kirche.

Die Autoren mit Bürgermeister Frank Gellen im Herzen des Dorfes - hinten im Bild die evangelische Kirche.

Foto: Busch

In diesem Dorf ist nicht viel los? Wie man sich täuschen kann. Wer sich mit der Brachter Ortsgeschichte beschäftigt, wird bemerken, dass in einem so kleinen Dorf sehr viel mehr los sein kann, als man ahnt. Das stellten auch die Wissenschaftler fest, die sich in den vergangenen Monaten durch Akten wälzten, Fundstücke und Fotos sichteten oder Urkunden entrollten. Sie alle sorgten unter Federführung der Historikerin Dr. Ina Germes-Dohmen dafür, dass nun ein umfangreiches Werk vorliegt, in dem die Geschichte Brachts wissenschaftlich aufgearbeitet wurde.

Rund 750 Seiten stark ist das Buch "Bracht. Geschichte einer niederrheinischen Gemeinde von der Frühzeit bis zur Gegenwart" geworden. Es vereint Beiträge von zehn Autoren, die unter verschiedenen Gesichtspunkten der Geschichte des Ortes nachspürten. Die Geologen Alfred Dickhof und Dr. Reinhold Roth erläutern die grundlegenden Standortfaktoren für die Ortsentwicklung. Der Archäologe Dr. Clive Bridger beschreibt die archäologischen Funde und Befunde vor 1116, dem Jahr der Ersterwähnung des Ortes. Prof. Dr. Margret Wensky erforschte die Zeit von 1116 bis 1814. Prof. Dr. Leo Peters befasste sich mit der Geschichte der reformierten Gemeinde. Dr. Ina Germes-Dohmen geht der Geschichte einer preußischen Bürgermeisterei am Niederrhein nach und erläutert in einem zweiten Beitrag die Geschehnisse zwischen 1945 und 1970. Dr. Paul Schrömbges zeichnet die Jahre der Weimarer Republik und der Zeit des Nationalsozialismus nach. Erich Benner, langjähriger Mitarbeiter der Rheinischen Post, zeigt auf, wie sich Bracht nach 1970 entwickelte, als der Ort mit der kommunalen Neuordnung seine Selbstständigkeit verlor. Dr. Georg Cornelissen schließlich befasste sich mit dem "Brauter Plott", Eva-Maria Willemsen ging den Bau- und Kunstdenkmälern nach, und Andrea Rönz widmete ihren Beitrag dem reichen Vereinsleben im Dorf.

Mit der öffentlichen Präsentation gestern im Bürgersaal, musikalisch begleitet von Johanna und Elisabeth Peters, endet nun auch für die Autoren ein langes Kapitel, das von mehr Arbeit geprägt war, als sich mancher anfangs vorzustellen vermochte. Sei es, dass Wensky bei ihren Recherchen "merowingische Überlieferungsverhältnisse" bemerkte, oder dass Schrömbges feststellte, er habe "nie gedacht, dass ein kleines Dorf so viele Akten hinterlassen kann" - je nach bearbeitetem Zeitraum sprudeln die Quellen mal mehr, mal weniger fleißig.

Zur Erstellung der Ortsgeschichte war eine fünfstellige Summe notwendig, und ohne die Unterstützung der Sparkassenstiftung wäre dies nicht möglich gewesen, betonte Bürgermeister Frank Gellen. Er dankte seinem Vorgänger Gerhard Gottwald, der damals, als die Ortsgeschichte 2012 auf den Weg gebracht wurde, den "richtigen Riecher" bewiesen hätte, und den Autoren - insbesondere Germes-Dohmen. "Ich werde Ihre WhatsApp-Nachrichten mitten in der Nacht vermissen", sagte Gellen an die Historikerin gewandt, "dass Sie gerade nach getaner Arbeit ein Glas Wein trinken, oder dass ich mein Vorwort endlich fertigmachen soll."

Das Werk ist vollendet, die Geschichte ist es nicht. Für Wissenschaftler bietet dieser "Mikrokosmos eines niederrheinischen Dorfes" (Germes-Dohmen) nach wie vor einige Möglichkeiten, sich vertiefend dem ein oder anderen Thema zu widmen. Dass sich die Beschäftigung mit der Geschichte lohnen könnte, prophezeite schon Peters, der 2012 im Heimatbuch des Kreises schrieb: "Man sollte die geschichtliche Bedeutung des heutigen Brüggener Ortsteiles Bracht nicht gering schätzen. (...) Der Ort hätte es verdient, verstärkt Gegenstand historischer Untersuchungen zu sein, an deren Ende eine moderne Ortsgeschichte stehen sollte, was zur Zeit allerdings Wunschdenken zu sein scheint, - es sei denn, man nähme die 2016 anstehende 900-Jahrfeier der urkundlichen Ersterwähnung zum Anlass (...)". Peters gab damit den Anstoß, und Germes-Dohmen sagte gestern denjenigen, die meinen, im Dorf sei nichts los: "Nix los? Na, hier ist für lange Zeit viel los gewesen. Und für die Jetzt-Zeit sind Sie selbst verantwortlich."

Ina Germes-Dohmen (Hrsg.): "Bracht. Geschichte einer niederrheinischen Gemeinde von der Frühzeit bis zur Gegenwart", Goch 2015, ISBN 978-3-944146-81-2, 25 Euro.

(RP)
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