Niederkrüchten Die Briten verlassen Elmpt

Niederkrüchten · Der Lärm war infernalisch. Er ließ Fensterscheiben zittern, den Boden vibrieren, war fast körperlich spürbar. Wir hatten uns trotzdem irgendwie daran gewöhnt und schmunzelten, wenn Gäste kamen und sich die Ohren zuhielten, wenn die Briten ihre Triebwerke warmlaufen ließen und sich der Lärmpegel beim Start in noch höhere Höhen schraubte.

Die Briten verlassen Niederkrüchten-Elmpt
14 Bilder

Die Briten verlassen Niederkrüchten-Elmpt

14 Bilder

Gerne auch samstags. Alteingesessene Elmpter erinnern sich, dass Hühner keine Eier mehr legten und dass der Pastor auf dem Friedhof Begräbniszeremonien unterbrechen musste, weil der Fluglärm vorübergehend das Wort Gottes übertönte.

Mein Elternhaus lag in Sichtweite zum Flughafen. Zwischen unserer Terrasse und den brüllenden Triebwerken lagen vielleicht 600 Meter Acker. Sonst nichts. Wir sahen die Abschussbasen der Raketen, deren Spitzen stets nach Osten zeigten. Manchmal sahen wir auch eine enorme Rauchsäule hunderte Meter hoch in den Himmel ragen, pechschwarz und undurchdringlich. Was das war, wussten wir nicht. Es hieß, dass die Engländer dann ihre abgenutzten Flugzeug- und Lkw-Reifen verbrannten. Ich weiß noch, wie wir Nachbarskinder damals, in den 1970er-Jahren, dem Spektakel staunend zuschauten.

Für die Gemeinde war der Flughafen Fluch und Segen zugleich. Der Fluch, das waren die Kampfflugzeuge, die im Tiefflug übers Dorf donnerten. Der Segen klang feiner, angenehmer: Es war das Klimpern in der Gemeindekasse.

 Auch Prinz Charles besuchte die in Elmpt stationierten Mitglieder der britischen Streitkräfte.

Auch Prinz Charles besuchte die in Elmpt stationierten Mitglieder der britischen Streitkräfte.

Foto: Busch

Nachdem für den Flughafenbau, der 1951/52 begann, rund 650 Hektar Gemeindewald und 350 Hektar aus privatem Besitz beschlagnahmt worden waren, wurde die Gemeinde 1956 mit zwei Millionen D-Mark entschädigt - für die Grundstücke und den Erlös aus Holzverkäufen. So konnte "die Gemeinde in den folgenden Jahren viele notwendige Investitionen wie Ankauf von Flächen für Gewerbegebiete, Wasserversorgung, Kanalbau und Straßen- und Wegeausbau tätigen", berichtet Ludwig Hügen in seiner Chronik der Altgemeinden Elmpt und Niederkrüchten.

Als Gaststreitkräftepauschale für die hier stationierten Briten kassierte die Gemeinde zeitweise zwei Millionen Euro pro Jahr. Dass das kleine Niederkrüchten beispielsweise drei Sportanlagen, zwei große Veranstaltungshallen und zwei Bäder hat, hängt auch damit zusammen. Der Flughafen brachte Lärm und Wohlstand - Fluch und Segen eben.

 1999 kam Premierminister Tony Blair, als Tornadostaffeln von Elmpt aus Angriffe auf serbische Ziele flogen.

1999 kam Premierminister Tony Blair, als Tornadostaffeln von Elmpt aus Angriffe auf serbische Ziele flogen.

Foto: Busch

Hügen schreibt in seiner Chronik, dass in den ersten Jahren "Goldgräberstimmung" herrschte. Für den Bau und Betrieb des Flughafens wurden jede Menge Handwerker und Bauarbeiter benötigt. 5000 Arbeiter rodeten den Wald, bauten Wohnungen, Infrastrukturgebäude, Hangars und Bunker. Viele kamen von außerhalb, weil es im Ort gar nicht genug Arbeitskräfte gab. Wer konnte, vermietete ein kleines Zimmer an die Arbeiter aus der Fremde und besserte so die Haushaltskasse auf. Auch Brötchen, Lebensmittel oder Friseurhandwerk "made in Germany" waren bei den Briten beliebt. Das brachte den einheimischen Geschäftsleuten zuverlässig Umsätze. Mit bis zu 800 zivilen Arbeitsplätzen war der Flughafen lange Zeit der größte Arbeitgeber der Gemeinde.

 Die Flieger begleiteten die Menschen in Elmpt über Jahrzehnte. 2001 verließ die letzte Tornadostaffel Niederkrüchten, britische Heereseinheiten übernahmen das Gelände.

Die Flieger begleiteten die Menschen in Elmpt über Jahrzehnte. 2001 verließ die letzte Tornadostaffel Niederkrüchten, britische Heereseinheiten übernahmen das Gelände.

Foto: British Forces Germany

So arrangierten sich die Elmpter und Niederkrüchtener mit dem Flughafen und seinen Begleiterscheinungen. Das Miteinander, das anfangs nicht nur wegen der Sprachbarriere schwierig war, besserte sich mit der Zeit. Langsam wuchsen private Kontakte und Freundschaften. Viele Briten wurden Mitglied in hiesigen Kegelclubs oder spielten Fußball und Tennis in den örtlichen Sportvereinen.

Einen Hauch von Glamour brachte der Flughafen auch: Die damalige Premierministerin Margaret Thatcher besuchte Elmpt 1990. Ihr Nachfolger Tony Blair kam 1999, als britische Tornadostaffeln im Jugoslawien-Krieg von Elmpt aus Angriffe auf serbische Ziele flogen. Royalen Glanz brachte Prinzessin Diana, die sich 1991 ins Goldene Buch der Gemeinde eintrug. Im Oktober 2001 war es mit dem Fluglärm vorbei. Die letzte Tornadostaffel drehte noch eine letzte Runde über Elmpt und machte sich dann auf den Heimweg nach England. Britische Heereseinheiten übernahmen das Gelände.

Aus "RAF Brüggen" wurden die "Javelin Barracks". Wirtschaftlich war das für Elmpt ein herber Einschnitt. Statt 8000 waren nun nur noch 2000 Briten da. Das spürten die Geschäftsleute, das spürte auch der Kämmerer.

In Elmpt standen plötzlich 800 Wohnungen leer, die die Briten bislang für ihre Soldaten und deren Familien angemietet hatten, die nun aber keiner mehr brauchte. An der Dürer- und Menzelstraße wurde eine komplette Britensiedlung mit ihren unansehnlichen Wohnblocks 2003 abgerissen. Die Wunde ist fast verheilt: Das hier entstandene Neubaugebiet "Malerviertel" hat die Lücke geschlossen.

Ungleich größer ist die Lücke, die auf dem nun frei werdenden Militärgelände entsteht. Das Kommen der Briten in den 1950er Jahren war eine große Herausforderung für die Gemeinde. Ihr Gehen wird eine noch größere.

(jo-s)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort