Serie Vor 285 Jahren Der Untertanen "Gemächlichkeit halber"

Viersen · 1730 begann ein heftiger Streit zwischen Dülken und Brüggen um den Mittelpunkt des herzoglich-jülich'schen Amtes Brüggen. Der Vogt des Amtes favorisierte Dülken, der Gerichtsschreiber das kleine, einwohnerschwache Brüggen.

 Zeichnungen von Brüggen, Dülken, Kaldenkirchen und Süchteln im Codex Welser von 1723 in der Bayerischen Staatsbibliothek München.

Zeichnungen von Brüggen, Dülken, Kaldenkirchen und Süchteln im Codex Welser von 1723 in der Bayerischen Staatsbibliothek München.

Foto: Kreisarchiv

Brüggen Das herzoglich-jülich'sche Amt Brüggen, das sich von Tegelen an der Maas bis vor die Tore Gladbachs erstreckte, war ein besonders steuerkräftiges und strategisch wichtiges. Aber es hatte einen Webfehler. Nicht Dülken, die bevölkerungsreichste und wirtschaftlich stärkste Stadt des Amtes und dazu verkehrstechnisch günstig gelegen, war sein Verwaltungsmittelpunkt, sondern, aus historischen Gründen und wegen der mächtigen Burg, das einwohnerschwache kleine Brüggen an der Schwalm.

Der Streit um den künftigen Sitz der Amtsverwaltung brach im Herbst 1730 offen aus. Diese Auseinandersetzung ist auch deshalb interessant, weil schon hier die meisten Gesichtspunkte eine Rolle spielten, die auch die Diskussionen um kommunale Neugliederungen in unseren Zeiten beherrschten.

So ging es um Fragen der Zentralität einer Stadt, bezogen auf das Umland, und um die Strukturnachteile für einen Ort, der vormalige Mittelpunktfunktionen aufgeben sollte. Und es ging natürlich um persönliche Motive der Amtsträger, die von möglichen Veränderungen betroffen waren. Das waren 1730 der Vogt des Amtes, Peter Butzenius, der Dülken favorisierte, und der Gerichtsschreiber Johann Heinrich Sybertz, der sich engagiert für die überkommenen Rechte von Brüggen einsetzte.

Verwaltung und Rechtsprechung hatten in jener Zeit nicht die uns heute geläufige Trennung. Gerichtsherr im Namen des Herzogs war der Vogt, der 14-tägig seine Gerichtstermine abhielt, das sogenannte Amtsverhör. Butzenius hielt es dem Herkommen zuwider in Dülken ab. Gerichtsschreiber Sybertz wandte sich Beschwerde führend an den Landesherrn. Seit unvordenklichen Zeiten, "ab immemoriali", wäre das Amtsverhör "auf dem Amtshauß zu Brüggen" abgehalten worden.

Jetzt verursachten die Dienstreisen des Gerichtsschreibers nach Dülken nur unnötige Ausgaben. Auch die Belehnungen würden nicht mehr auf der Burg in Brüggen, sondern in Dülken abgehalten. Und noch ein wichtiger Aspekt kam hinzu: Von alters her würden, so der klagende Gerichtsschreiber, die Amts- und Steuerakten auf dem sogar "zu solchem endt" erbauten Brüggener Rathaus aufbewahrt. Und nun hätten die Bürgermeister von Brüggen die Schlösser getauscht und dem Amtsgerichtsschreiber den Zugang versperrt.

Die herzogliche Regierung in Düsseldorf entschied, "das alte Herkommen keineswegs" zu verändern und die Amtstätigkeit des Vogtes in Brüggen zu belassen. Butzenius scheint das nicht nur ignoriert zu haben, sondern wollte auch das Brüchtenverhör, also die Strafgerichtsbarkeit des Amtes, aus Brüggen abziehen. Das hätte, so warnte wiederum Sybertz, für das "Stättgen Bruggen" zur Folge, dass es in "völligen Verderb" geraten würde. Auch nach einer Wiederholung der Düsseldorfer Entscheidung im August 1731 ging der Streit weiter, denn Vogt Butzenius berief sich auf eine Landtagsentscheidung von 1654, wonach das Amtsverhör in der Mitte des Amtes abzuhalten wäre - der Untertanen "Gemächlichkeit halber". Und ebenda setzte des Vogtes aparte geographische Argumentation an: Für 17/20 der Amtseinwohner läge Dülken genau in der Mitte - "geradt in meditulio". 85 Prozent des Amtes also lägen nur eine Stunde von Dülken entfernt. Bracht, Kaldenkirchen und Tegelen, insgesamt nur drei Zwanzigstel der Amtseinwohner ausmachend, wären zwar anderthalb, zwei oder drei Stunden entfernt, aber an Brüggen auch nicht wesentlich näher.

Butzenius hatte die Ortsobrigkeiten von Süchteln, Waldniel, Breyell, Boisheim und selbstverständlich von Dülken selbst auf seiner Seite, und verstand es, den ganzen Streit als Ausfluss persönlicher Interessen des Gerichtsschreibers abzutun, der von Dülken nach Brüggen verzogen war. Schon 16 Jahre lang hätte das Amtsverhör in Dülken stattgefunden. Ein weiterer Versuch Sybertz', argumentativ Land zu gewinnen, war sein Hinweis auf die unzureichende Aufbewahrung der Amtsakten im angeblich völlig ungeeigneten Dülkener Rathauses. Es wäre ein "ganz schlechtes" Rathaus, wo nicht einmal ein Gefängnis "alß unter der Trappen" vorhanden sei, aus dem verschiedene Gefangene mit großer Leichtigkeit geflohen wären.

Der Ausgang des Streites erschließt sich aus den zugrundeliegenden Akten nicht, wohl auch deshalb, weil er, wie in Düsseldorf geäußert wurde, "ex animositate privata", also aus persönlicher Feindschaft entstanden war. In Düsseldorf gab man sich pragmatisch: Alles solle so gehandhabt werden, "wie es denen ambtseingesessenen am ersprießlichsten sein wolle".

LITERATUR ZU DIESER AUSEINANDERSETZUNG VGL. HEIMATBUCH DES KREISES VIERSEN 1986, S. 105-112.

(prof)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort