Brüggen Dem Niederrhein sein Deutsch

Brüggen · Der Alltagssprache in Bracht und Umgebung widmete Sprachforscher Georg Cornelissen einen Abend bei den Heimatfreunden. Wie wir wann mit wem sprechen, hängt von vielen Faktoren ab

Brüggen: Dem Niederrhein sein Deutsch
Foto: R.T.

Die schlechte Nachricht zuerst: Der Dialekt liegt im Sterben. Das ist in Bracht nicht anders als anderswo. Die älteren Dorfbewohner können noch Platt sprechen, tun es mitunter auch mit Gleichaltrigen. Ihre Kinder verstehen Platt, sprechen es aber nicht. Und die Enkel? Die verstehen Platt nicht einmal mehr. Mit der sinkenden Anzahl von Plattsprechern ist der Dialekt dem Tode geweiht - allen Bemühungen örtlicher Mundartkreise zum Trotz.

Und nun die gute Nachricht: Merkmale des Dialekts finden sich in der Alltagssprache wieder - in dieser Sprache, die kein Dialekt ist, aber auch kein Hochdeutsch. "Hochdeutsch mit Streifen", sagen manche dazu. "Regiolekt", sagen Sprachwissenschaftler - Sprache der Region. Denn der Dialekt ist örtlich begrenzt: In Bracht spricht man anders Platt als in Kaldenkirchen oder in Brüggen. Der Regiolekt hingegen umfasst eine größere Region. Das hat Vorteile: Man versteht sich in der Alltagssprache, auch wenn man nicht aus demselben Dorf stammt. Dieser Alltagssprache, dem Regiolekt, widmete der Sprachforscher Georg Cornelissen bei den Brachter Heimatfreunden einen Abend. Der Wissenschaftler arbeitet am Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte (ILR) in Bonn, seine Arbeit zum "Brauter Plott" floss in die Brachter Ortsgeschichte ein. Nun hatte sich Cornelissen angekündigt, um über "Brachter Deutsch - zwischen Brauter Plott und Tagesschau" zu sprechen. Amüsant und kurzweilig entführte Cornelissen in die Welt der Sprachforscher. Er verteilte Fragebögen an die Besucher, um herauszufinden, welche Wörter Brachter für bestimmte Dinge nutzen. Wie nennt man eine kleine Unebenheit auf der Straße? Hubbel? Huckel? Oder ganz anders? Wichtig war Cornelissen dabei, dass die Besucher ihm mitteilten, was sie in der ganz normalen Umgangssprache dazu sagen. Und die Besucher kreuzten an: Für die kleine Unebenheit auf der Straße wählten die meisten "Hubbel". Ob man in einem Dorf nun "Hubbel" oder "Huckel" sagt, das ist auf einer Karte zu sehen, die im "Sprachatlas Rheinland" abgedruckt wird. Durch diese Karte konnten die Besucher beim Heimatabend erkennen, dass einige Wörter in der Brachter Alltagssprache nicht anders sind als in der Umgebung: Auch in Nettetal, Viersen, Mönchengladbach sagt man "Hubbel". Diese gemeinsame Sprache schweißt zusammen. Seit einigen Jahren sind Wissenschaftler dem Regiolekt auf der Spur. Sie erforschen, wer wann wie spricht, und wie sich der Regiolekt verändert. Während es im Dialekt keine Veränderungen mehr gebe, verzeichne man im Regiolekt durchaus Veränderungen, so Cornelissen. "In Bracht gehören dat, wat und et ganz normal zur Alltagssprache", erklärte der Wissenschaftler. Das sei nicht selbstverständlich. Und das wird wohl auch nicht so bleiben: Es wird zunehmend unwahrscheinlicher, dass Kinder noch "dat" oder "wat" sagen, wenn sie auf dem Schulhof miteinander spielen. Diese Dialekt-Merkmale verschwinden aus der Alltagssprache. "Entdialektisierung des Regiolekts" nennt Cornelissen das. Andere Merkmale sind stabil. Cornelissen brachte einen Beispielsatz: "Hasse jesehn: Et is schon widder am rechnen!" Ob man in der Alltagssprache "hasse" oder "haste" sagt, hängt davon ab, wo man lebt (oder aufwuchs): Heißt es auf Platt "hässe", wird daraus in der Alltagssprache "hasse"; heißt es auf Platt "hässte", sagt man im Alltag "haste". Mit seinen Ausführungen zum Regiolekt hatte Cornelissen in Bracht seine liebe Mühe: Immer wieder kam das Gespräch zurück auf den örtlichen Dialekt, steuerten Besucher Wörter oder Sätze "op Platt" bei. Nach gut einer Stunde verkündete Cornelissen, er werde jetzt keine Widerworte mehr geben - und gab den älteren Anwesenden Tipps: Wenn man wolle, dass der Dialekt nicht aussterbe, müsse man aufhören, die Jüngeren ständig zu korrigieren. Es sei entmutigend für diejenigen, die es versuchen wollten, deren Aussprache holprig, "wie bei einer Fremdsprache" klinge, immer wieder zu hören: "Das ist aber falsch. Das spricht man so aus."

(flo)
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