Viersen Das Gerichtswesen im alten Viersen

Viersen · Jahrhundertelang hatten sieben Schöffen bei Gericht das Sagen. Sie wurden auf Lebenszeit ernannt, machten gern mal "kurzen Prozess". Der Galgenberg lag vor den Toren der Stadt. Morgen Abend referiert Stadtarchivar Marcus Ewers

Einen interessanten Abend verspricht der Katholisch Kaufmännische Verein (KKV) Viersen seinen Gästen: Stadtarchivar Marcus Ewers wird über 1000 Jahre Rechtsprechung in Viersen erzählen - vom ersten Schöffengericht, das Karl der Große um 800 einrichten ließ bis zu dessen Auflösung durch die Franzosen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Bis dahin bildeten regelmäßig sieben Schöffen - "es musste eine ungerade Zahl sein und die Zahl sieben war heilig", so Ewers - das Gericht, sie wurden auf Lebenszeit ernannt. Und da es meist Bauern waren, wurde oft ein sprichwörtlich "kurzer Prozess" gemacht.

Die Gerichtsbarkeit lag damals nicht beim Grundherrn, in Viersen dem Kölner Kloster St. Gereon, sondern beim weltlichen Herrscher, dem Herzog von Geldern. Er ernannte einen Richter, der aber nur das Urteil verkündete, das die Schöffen zuvor beraten hatten. Als Vertreter des Landesherrn saß ein Schultheiß am Gericht - schweigend, denn er hatte nichts zu sagen. Nach ihm wurde aber der "Schultheißenhof" benannt, der im Keller ein dunkles Gefängnis für die Delinquenten hatte. Noch heute deutet der Straßenname "Schultheißenhof" in Viersen auf diesen Bau hin, der auf dem Grund des heutigen Amtsgerichts stand.

Die Schuldsprüche wurden am noch heute dort befindlichen "Kaeks-Stein (Rabenstein)" unter der Linde auf dem heutigen Remigiusplatz verkündet. Und wenn es ein Todesurteil war, dann hieß es: "Ich schlage dich an den Stein, du kehrst nie mehr zu Vater und Mutter heim." Während in Dülken die zum Tode Verurteilten "gerädert" wurden, wurden in Viersen die Mörder zum Galgenberg gebracht, der weit außerhalb der Stadt kurz vor der Grenze zu Mönchengladbach liegt.

Marcus Ewers wird auch über die damals üblichen Ehrenstrafen sprechen: "Sie wurden über Menschen verhängt, die Landstreicher waren oder wegen übler Nachrede vor Gericht standen." In Dülken wurden sie in das "Drillhäuschen" gesperrt, das auf dem Alten Markt vor dem damaligen Rathaus stand. Die Kinder machten sich einen Spaß daraus, dieses Häuschen mit dem Insassen herumzuwirbeln. In Viersen wurden solche Übeltäter mit einer Hand und einem Fuß an den Kaeks-Stein gekettet - zur Freude des immer großen Publikums.

"Ich werde vor allem auf die Unterschiede hinweisen zwischen dem anarchisch-germanischen Recht über das römische Recht unter Karl dem Großen bis zum staatlichen Gewaltmonopol und der wesentlich brutaleren Justiz in der frühen Neuzeit, als Söldnerheere plündernd durch die deutschen Lande zogen", sagt Ewers. Und er wird über besondere Straftaten berichten wie eine Vergewaltigung durch Tilman Vossen 1719 oder die Ermordung der Anna Margareta Terporten aus Süchteln 1791. Und mit Lisbeth Sleuters alias Franken stellt er eine "Hexe" aus Viersen vor. Er wird über die Bedeutung der Gerichtssteine als vorgeschichtliche Orte des Rechts und der Sühne sprechen, die nach der Christianisierung ihren Kultstatus verloren und von da an nur noch als Gerichtsstätten dienen durften. Der Stadtarchivar will morgen Abend auch auf eine Dokumentation hinweisen, die er gemeinsam mit dem Verein "Geschichte für Alle" vor fünf Jahren herausgegeben hat: "Tatort" Viersen erzählt interessante Kriminalfälle aus Dülken, Süchteln und Viersen.

Erst im 19. Jahrhundert änderte sich das Gerichtswesen. Die Amts-, Land- und Oberlandesgerichte sprechen nun Recht - und das werden die Besucher sicher erleichtert zur Kenntnis nehmen.

(flo)
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