Viersen Bessere OP-Betreuung für Senioren

Viersen · Ab sofort gibt es in dem Süchtelner Krankenhaus das Zentrum für Alters-Chirurgie (ZAC), einen gemeinsamen Bereich der geriatrischen und der chirurgischen Kliniken. Er wurde eingerichtet für die Versorgung von älteren Patienten, die operiert werden müssen - und in eine Risikogruppe fallen.

Wenn Patienten nach einer Operation aus der Narkose erwachen, sind sie meist noch ein wenig benommen. Es dauert eine Weile, bis sie sich orientieren können, manchmal Stunden, machmal Tage. Nicht immer aber klingt die Verwirrung ab. "Es gibt Patienten, bei denen diese Veränderungen dauerhaft sind", sagt Chirurgie-Fachärztin Melanie Müllers. Die 36-Jährige und ihre Kollegen im St.-Irmgardis-Krankenhaus haben es sich nun zum Ziel gesetzt, die Zahl der Menschen mit "Delir", wie die Erkrankung in der Fachsprache heißt, zu reduzieren.

"Unser Ziel ist es, älteren Patienten nach Operationen die Selbstständigkeit so lange wie möglich zu erhalten", sagt Müllers, die das ZAC koordiniert. Der Schwerpunkt aber liege auf der Vermeidung und der Linderung von Delir, was aus dem Lateinischen abgeleitet etwa "aus der Spur geraten" bedeutet.

"Fast jeder kennt einen älteren Menschen, der nach einer Operation einfach nicht mehr derselbe war", sagt Müllers. Früher sei das so hingenommen worden, die heutige Forschung sei weiter. Anzeichen für Delir können etwa Schreien, aggressives Verhalten oder Orientierungslosigkeit seien. "Schwieriger zu erkennen ist es dagegen bei denjenigen, die ruhig sind", sagt Müllers. "Da hilft es, wenn die Angehörigen uns sagen, ob sich der Patient anders verhält als zu Hause."

Um im ZAC behandelt zu werden, müssen Menschen über 65 Jahren, die nach einem Unfall in der Chirurgie landen, einen Test machen: eine Uhr malen. Das sei simpel, aber effektiv, sagt Müllers. Denn daran lasse sich etwa beginnende Demenz erkennen - obwohl sich im Alltag des Patienten vielleicht noch keine Anzeichen gezeigt hatten. "Jeder Einschnitt, etwa ein räumlicher Wechsel, kann einen Demenzschub auslösen", sagt Müllers.

Die Zimmer haben zwei statt der üblichen drei Betten. Sie sind mit Uhren und einem Kalender ausgestattet, damit sich die Menschen orientieren könnten. In einer Box werden etwa die Zahnprothese, die Brille oder das Hörgerät verwahrt. Wird der Patient zum Röntgen, in den Operationssaal oder auf die Intensivstation gebracht, ist diese Box immer bei ihm. "Das gibt Sicherheit", sagt Müllers. Daneben sollen Medikamente die Patienten zwar beruhigen, aber nicht sedieren.

Die Betreuung ist eng: Das Personal wird selten gewechselt, um die Patienten nicht durch viele verschiedene Gesichter zu verwirren. Auf lange Sicht soll es sogar eine Schwester pro Patient geben, die ihn von der Aufnahme bis zur Entlassung betreut. Dreimal pro Woche ist eine gemeinsame Visite der chirurgischen und der geriatrischen Ärzte angesetzt, einmal wöchentlich ist ein Sozialarbeiter dabei.

Laut dem Statistischen Bundesamt steht Delir auf der Liste der zehn häufigsten psychischen und Verhaltensstörungen bei stationären Patienten auf dem siebten Platz. Hans Jürgen Heppner von der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie schätzt, dass bis zu 20 Prozent der Menschen über 70 Jahre, die in Notaufnahmen behandelt werden, unter Delir leiden. "Maximal 30 Prozent davon werden erkannt", sagt er. Vorbild für das Süchtelner Krankenhaus ist das St.-Franziskus-Hospital in Münster. Die Klinik hat die Delir-Rate von über 50 Prozent auf knapp sieben Prozent gesenkt.

Seit Ende März wurden im ZAC fünf Patienten behandelt. Einer der ersten - eine 85 Jahre alte Frau - wird Ende dieser Woche entlassen. "Sie war die ganze Zeit völlig klar", sagt Müllers stolz. Weil der Bedarf größer ist als gedacht, wolle man die Anzahl der ZAC-Betten früher als geplant von fünf auf zehn erhöhen.

(RP)
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